Juli 5, 2020

COVID-19 in indigenen Lebensräumen: Der lange Weg zum versprochenen Geld

Dass der Corona-Virus die indigene Bevölkerung der USA besonders stark belastet und auch zu einer besonders hohen Opferzahl führt, ist für viele mittlerweile eine traurige Tatsache. Mit viel Energie und Verzweiflung wurden innerhalb kürzester Zeit eine Vielzahl von Spendensammlungen für indigene Stämme in verschiedenen Teilen der USA aus dem Boden gestampft. Auffallend ist, dass viele Spendenaufrufe sich auf die Gegend von New Mexiko beziehen, weil dort auch die größte autonome Nation (Navajo) beheimatet ist. Und obwohl viele Völker durchaus vernünftige Schritte unternommen haben, um das Virus einzugrenzen, wurden sie von der Bundesregierung vor große Herausforderungen gestellt und es wurden Hilfsgelder vorenthalten, die ihnen rechtlich zustehen. 

Widerstand vom Staat

Der eklatante Mangel an Kooperation wurde schon von Beginn an klar, als viele Völker versuchten, mit eigenen Schutzmaßnahmen wie Ausgangssperren, die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Dies zum Teil gegen die bundesstaatlichen Gewalten, die unterstützt von der Bundesregierung die Gefahr des Virus ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen unterordneten.

Diese widerstrebenden Interessenslagen offenbaren die Konflikte, die autonome Stammesgebiete immer noch auslösen. Zum einen dürfen Sie gemäß Verfassung sich selbst verwalten und regieren, zum anderen werden diese Rechte je nach Themenlage schnell für nichtig erklärt. Die indigene Souveränität wird damit ad absurdum geführt und die Schutzmacht der Bundesregierung zu einer leeren Hülse. 

Der schlechte Zustand des Indian Health Systems

Die bereits lang evidente Unterfinanzierung des Indian Health Systems wurde noch deutlicher. Die finanzielle Situation rächt sich jetzt umso mehr, jedoch wieder nur an den Schwächsten. Im Zuge des CARES-Act wurde dem IHS (Indian Health Service) eine Milliarde an Hilfsgeldern zugesichert, dies ist jedoch weit zu wenig für ein Gesundheitssystem, das an jahrelanger finanzieller Aushöhlung leidet. Besonders für Indigene im urbanen Raum ist die Versorgungsqualität am schlimmsten. Indigene, die nicht in Reservationen leben (und dies betrifft die Mehrheit), sind oft schwerer erreichbar für das IHS. Durch fehlende finanzielle Ressourcen und die Unmöglichkeit, den medizinischen Bedarf nach Schutzbekleidung und -produkten zu sichern, mussten sich einige Einrichtungen entschließen, ihren Betrieb stark einzuschränken oder ihre Türen bis auf weiteres ganz zu schließen. Im Endeffekt haben damit noch weniger Versicherte im IHS Zugang zu notwendigen medizinischen Leistungen während der Pandemie. Im Südwesten der USA musste mittlerweile sogar Ärzte ohne Grenzen einen Hilfseinsatz starten, um den erkrankten Menschen zu helfen, dies insbesondere ausgelöst durch den mangelnden Zugang zu sauberem Trinkwasser. Dies betrifft in der Navajo Nation rund 1/3 der Bevölkerung.

Der CARES-Act

Der US-Kongress war sich über die schwierige finanzielle Lage der indigenen Bevölkerung im Frühjahr durchaus bewusst und stellte 8 Milliarden US-Dollar an Hilfsgeldern speziell für indigene Verwaltungen im sogenannten CARES-Act zur Verfügung. Ursprünglich wurden vom National Congress of American Indians 20 Milliarden gefordert. 

Die tatsächlich bereitgestellten 8 Milliarden finden jedoch nur schwer ihren Weg in die Stammesgebiete. Das zur Verfügung gestellte Budget der Bundesregierung war jedoch nur verknüpft mit hohen bürokratischen Hürden zu beanspruchen. Die Beantragung erforderte die nahezu minutiöse Dokumentation der Verwendung und dadurch eine Verzögerung des Geldflusses. Dies wiederum zwingt indigene Verwaltungen, das Geld selbst vorzustrecken, um eine notwendige Gesundheits- und Lebensmittelversorgung zu gewährleisten. 

Auch zeigte sich, dass die US-amerikanischen Behörden, welche die Beihilfen-Vergabe abwickelten, mit den Besonderheiten der autonomen indigenen Regierungen kaum vertraut waren und dadurch zusätzliche Hürden entstanden oder Hilfsgelder fälschlich versagt wurden. 

Beispielweise bekamen viele Glücksspielunternehmen von indigenen Stämmen keine Katastrophen-Unterstützung abseits des CARES-Act, da Glücksspiel regulär nicht förderwürdig ist. Im Falle von Covid-19 sollten jedoch Unternehmen aller Art gestützt werden. Bis sich diese Missinterpretation der neuen Förderrichtlinien aufgeklärt hatte, war das Geld der ersten Hilfstranche bereits komplett verteilt. Glücksspielunternehmen sind für viele Stämme jedoch oft die einzige Einnahmequelle, da sie selbst keine Steuern auf ihrem Gebiet einheben. Die Verzögerung von Hilfsgeldern für indigene Nationen selbst, zusammen mit dem Ausfall wichtiger Einnahmen aus Casinos, stellt Stammesregierungen vor akute finanzielle Probleme. 

Mangelnde Kooperation des Bankensektors

Eine weitere problematische Hürde im Kampf der indigenen Bevölkerung an Gelder aus den Hilfsfonds zu kommen, sind Banken, die teilweise die Abwicklung derjenigen übernehmen. Viele indigene Gruppen haben kaum Zugang zu Bankleistungen und betreiben Ein-Personen-Unternehmen, die anfänglich nicht förderungswürdig waren. Als die Richtlinien geändert wurden, nahmen die meisten Banken nicht die Mühe auf sich ihre (potentiellen) Kunden zu informieren. Denn die Richtlinien und Gesetzestexte sind kompliziert genug, sodass selbst Anspruchsberechtigte oft nichts davon wissen und erst gar nicht um Hilfsgelder ansuchen. 

Ein Happy-End?

Zurück zum CARES-Act: Nachdem viele indigene Antragssteller bei Hilfsfonds für Unternehmen abgewiesen wurden, wurden immerhin die 8 Milliarden US-Dollar an Katastrophen-Hilfe speziell für die indigene Bevölkerung der USA zugesichert. Das Geld sollte ursprünglich binnen 30 Tagen den Empfängern zugestellt sein, damit die Stammesvertretungen darüber verfügen könnten. Als nach Ablauf der Frist nur ein kleiner Teil des Geldes überwiesen war, sahen sich die indigenen Vertreter in einer Sammelklage gezwungen, den US-Finanzminister Steve Mnuchin, auf Herausgabe zu klagen. Unter dem Druck des Gerichtsverfahrens, bei dem kein besonderer Grund für die Zurückhaltung der Gelder zutage gefördert werden konnte, wurde der Großteil des Geldes Mitte Juni überwiesen. Die 8 Milliarden füllen bereits gähnende Löcher in den Stammeskassen und müssen nun rasch verteilt und sinnvoll genutzt werden, da der Zugriff auf den Hilfsfonds nur bis Ende des Jahres 2020 möglich ist. 80 Tage Verspätung musste sich die indigene Bevölkerung der USA also wieder gefallen lassen, um zu ihrem gesetzlich zugesicherten Recht zu kommen.

 anb