Februar 12, 2021

Die Odyssee der Natchez

Im vergangen Jahr war es 400 Jahre her, dass die Mayflower im heutigen Plymouth Nordamerika erreichte. Die Menschenrechtsorganisation Survival International hat aus diesem Anlass eine Umfrage unter der heutigen indigenen Bevölkerung durchgeführt, um deren Einstellung zu diesem historischen Ereignis zu erfragen. 

Stellvertretend für die meisten der Antworten mag hier die Aussage eines Cherokee stehen: „Lügen, die man uns seit unserer Kindheit beibringt. Es war das Schiff, das den Massenmord und den Raub von indigenem Land mit sich brachte.“ (Survival International auf www.svlint.org/Kolonialismus).

Die Landung der Mayflower ist einer der Ausgangspunkte, von dem aus die Vertreibung und fast völlige Ausrottung der Ureinwohner des nordamerikanischen Kontinents in den folgenden Jahrhunderten ihren Anfang nahm. Viele Gemeinschaften kennen wir heute gar nicht mehr oder höchstens noch dem Namen nach. 

Die Natchez heute

Die Natchez – einzige Überlebende der Mississippi-Kulturen

Der „Große Tempel“ and das Haus des „Sonnenhäuptlings“, Alexandre de Batz, ca. 1730.

Der „Große Tempel“ and das Haus des „Sonnenhäuptlings“, Alexandre de Batz, ca. 1730

Auch die Natchez gehören zu diesen Gemeinschaften. Selbst in der Fachliteratur wird oft vom Ende der Natchez gesprochen. Dennoch gibt es seit geraumer Zeit wieder Menschen, die ihre Abstammung und ihre Traditionen von den Natchez aus vorkolonialer Zeit herleiten. 

Sie leiten damit ihre Abkunft von den letzten Angehörigen der berühmten Mississippi-Kulturen her, die zu ihrer Blütezeit ihr politisches und religiöses Zentrum in Cahokia in der Nähe des heutigen St. Louis hatten. 

Da die soziale Gemeinschaft der Natchez bis zum Beginn der Kolonialära Bestand hatte, sind die Natchez die einzigen Überlebenden der Mississippi-Kulturen, über die es ausführliche geschriebene Quellen europäischer Chronisten gibt. Selbst in diesen Quellen, die aus einer Zeit stammen, zu der die Natchez-Gesellschaft bereits im Niedergang begriffen war, zeigen sich die Chronisten beeindruckt von deren differenzierten sozialen Struktur und der religiösen und politischen Bedeutung ihres obersten Häuptlings. 

Die Natchez heute: elektronische Medien und traditionelle soziale Strukturen

Heute leben die meisten Natchez im Reservat der Creek in Oklahoma und einige auch am Edisto-River in South Carolina.

Die offizielle Natchez-Nation hat ihren Sitz in Gore in Oklahoma. Von dort aus betreiben die Natchez eine Website (www.natcheznation.com), auf der sie über ihre Nation berichten, über aktuelle Ereignisse und auch versuchen, Kontakt mit anderen Indigenen herzustellen, die möglicherweise ihrer Nation zuzurechnen sind. 

Webseite der Natchez-Nation

Webseite der Natchez Nation

Ein Beispiel für die Aktualität dieser Website ist eine ihrer jüngsten Ausgaben, auf der das Amt des zweiten Häuptlings ausgeschrieben wird und dessen Aufgaben skizziert werden. 

Über sein Profil auf dem Berufs-Forum LinkedIn (unter Natchez Nation auf www.linkedin.com)  macht sich Hutke Fields, der derzeitige oberste Häuptling, ein weiteres elektronisches Medium zunutze, um auf sich und damit auch auf seine Ethnie aufmerksam zu machen. 

Er verfügt über einen Master der Universität Oklahoma und hat an zahlreichen indigenen Projekten mitgearbeitet. 

Laut Field beträgt die gesamte Natchez-Bevölkerung zur Zeit ca. 10000 (The Natchez Democrat vom 27.03.2011, www.natchezdemocrat.com/2011/03/27/does-our-society-reflect-tribe/2/), die Natchez-Nation in Oklahoma etwa 6000 Personen (https://mississippiobscura.com/beats-doing-chores-blog/f/the-people-of-the-great-sun-and-the-tattoed-serpent vom 28.11.2018). Damit wäre die Bevölkerung heute größer als sie zu Beginn der Kolonialzeit war, für die die Bevölkerungszahl meistens mit max. 4500 angegeben wird.

Von den traditionellen sozialen Strukturen sind die Positionen des obersten Häuptlings, der Großen Sonne, des zweiten Häuptlings, des ehemaligen Kriegshäuptlings, und eines beratenden Gremiums, das diesen zur Seite steht, übernommen worden. Diese Personen vertreten die Gruppe nach außen und verwalten alle Angelegenheiten, die für die Gruppe als ganze von Bedeutung sind

Wiederaufleben der Natchez-Sprache

Ein besonderes Anliegen ist den Natchez das Wiederaufleben ihrer traditionellen Sprache. Das Natchez ist eine Sprache, die mit Ausnahme der kleinen Gruppen der Taensa und Avoyell, von keiner anderen ethnischen Gruppe gesprochen wurde. Sie ähnelt noch am ehesten dem Muskogee. 

Der Ethnologe John Swanton konnte Anfang des 20. Jahrhunderts die letzten Natchez, die noch die Sprache ihrer Vorfahren beherrschten, interviewen. Einige Jahre später gelang es, die Natchez-Sprache auf Wachs-Zylinder aufzuzeichnen, von denen einige auch heute noch existieren. (Barnett, 2007: 134). Als 1954 der letzte Natchez-Speaker gestorben war, gab es zunächst niemand mehr, der des Natchez mächtig war. Erst seit 2011 gibt es wieder sechs Mitglieder der Natchez-Gemeinschaft, die in der Lage sind, sich in ihrer traditionellen Sprache auszudrücken. Mittlerweile ist es sogar gelungen, die Laute der Natchez-Sprache in das lateinische Alphabet zu übertragen. Es gibt ein Wörterbuch Natchez-Englisch, das stetig vervollständigt wird.

Kultureller Ausdruck und religiöse Zeremonien

Ihre kulturellen Ausdrucksformen passten die Natchez in der Zwischenzeit zum Teil denen der Cherokee und Creek an. Das Verwandtschaftssystem und die materiellen Kulturgüter ähneln dem der beiden größeren Gruppen (Galloway und Jackson in Fogelson, 2004: 611). 

In Bezug auf religiöse Zeremonien, Musik und Tanz blieben Natchez-Elemente allerdings deutlich erkennbar und die Natchez spielten auch eine wichtige Rolle beim Wiederbeleben traditioneller Riten (Galloway und Jackson in Fogelson, 2004: 612 f.). Musik, Tanz und Gesang sind die Grundelementen des regelmäßig im Frühjahr aufgeführten Powwows. Es findet auf dem Boden des ehemaligen Hauptdorfes der Natchez, dem Grand Village, in Natchez statt. Es ist mittlerweile zu einem festen Bestandteil des Kulturkalenders der Stadt Natchez geworden.

Die Kusso-Natchez

Die Natchez vom Edisto-River südlich der heutigen Stadt Charleston haben sich im Laufe der Zeit mit den Kusso vermischt, die schon seit vielen Generationen in diesem Gebiet beheimatet sind. Die vor ihnen am Edisto siedelnde Gruppe, die unter demselben Namen, nach dem auch der Fluss benannt ist, bekannt wurde, existiert seit etwa 1700 nicht mehr. Ihr Name wurde im Laufe der Zeit auch auf die Kusso angewandt, sodass die heutige Ethnie sowohl unter der Bezeichnung Kusso- als auch Edisto-Natchez oder auch nur Kusso beschrieben wird.   

Die Gruppe der Kusso-Natchez, die beiderseits des Flusses leben, umfasst etwa 400 Personen. Insgesamt dürften es zwischenzeitlich annähernd 1000 Personen sein, die sich wieder auf ihre Kusso-Natchez-Herkunft berufen. Der damalige Häuptling Andy Spell bezifferte 2019 die Gesamtzahl der Kusso auf ca. 1100 (Summerville Journal Scene, 14.04.2019, https://www.postandcourier.com/journal-scene/news/edisto-kusso-tribe-members-teach-children-about-their-culture-and-heritage/article-50de8f02-70c0-552e-9d4d-f9316569914c.html). Damit liegt ihre Zahl deutlich höher als noch zu Ende des 19. Jahrhunderts. 

Die Kenntnis darüber, wie viele Menschen genau den Kusso angehören, ist im Laufe der Zeit wegen zahlreicher bürokratischer Hindernisse verloren gegangen. So wurde in der Vergangenheit von den Behörden die Identität indigener Bevölkerungsteile häufig nicht gesondert festgehalten. Heute werden den Kusso alle die Personen zugerechnet, von denen mindestens ein Elternteil dieser Ethnie angehört

Der Edisto gilt den Kusso-Natchez traditionell als heilig, in dem sich selbst zum Christentum übergetretene Gläubige taufen lassen. Der derzeitige Häuptling ist der Arzt John Glenn Creel, der auf dem Gebiet der Kusso eine Klinik betreibt. Die Gruppe kümmert sich insbesondere um die Gesundheit und die Erziehung ihrer Mitglieder sowie um die Erhaltung und Pflege ihrer Traditionen. Deshalb werden seit einiger Zeit wieder regelmäßig Powwows abgehalten, die sich vor allem an Menschen indigener Herkunft wenden und sich darin ein wenig von den Powwows in Natchez unterscheiden, die deutlicher auch auf den Tourismus Rücksicht nehmen. 

Wie sehr sich die Kusso um den Zusammenhalt von Indigenen ihrer Herkunft bemühen, zeigt sich auch an den an jedem zweiten Wochenende im Oktober stattfindenden Treffen von Angehörigen und Freunden, die an anderen Orten leben. Der Weitergabe traditioneller Werte dient die Unterrichtung der Jugendlichen in den Traditionen und der Sprache ihrer Vorfahren, um diese zu erhalten und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Auch wird hierdurch sichergestellt, dass auch kommenden Generationen ihre Gruppenzugehörigkeit bekannt ist.  

In einem Interview mit dem „Post and Courier“ vom 28.01.2019 (https://www.postandcourier.com/news/just-outside-charleston-a-native-american-tribe-seeks-to-preserve-its-identity/article-dac0cce6-142a-11e9-8471-c726cd1169ff.html) betont die Kusso-Natchez Sabrina Creel wie wichtig ihr und ihren Angehörigen ein freundliches Zusammenleben mit ihren Nachbarn ist. Mit der gleichen Freundlichkeit seien auch die ersten Siedler in ihrem Land von ihren Vorfahren begrüßt worden. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der sie sich zu ihrer indianischen Herkunft und ihren Traditionen bekennt, möchte sie auch andere Menschen die Annehmlichkeiten in der Umgebung und am Edisto genießen lassen. Wehmut schwingt nur dann mit, wenn sie erwähnt, dass diejenigen, die sich am Fluss erfreuten, kaum die Indigenen wahrgenommen haben, die in ihrer Nähe in Armut lebten. Darin sieht sie ein Motiv, um ihre Gruppe und ihre Wertvorstellungen in der Öffentlichkeit sichtbarer werden zu lassen.

Oklahoma-Natchez und Kusso-Natchez

Im Gegensatz zu den Natchez in Oklahoma, die bis heute weder über eine bundesstaatliche Anerkennung noch über eine Anerkennung durch die Bundesbehörden in Washington verfügen, sind die Kusso-Natchez immerhin vom Staat South Carolina als indianische Nation anerkannt worden. Dennoch streben auch die Kusso-Natchez nach einer Anerkennung durch die US-Bundesadministration, da nur so auf gleicher Ebene mit den Behörden verhandelt werden kann.     

Über Internetportal zur Familienzusammenführung verfügen wir heute über ein Mittel, das es bis vor wenigen Jahren noch nicht gab, mit dessen Hilfe Verwandte oder Bekannte, die sich aus den Augen verloren haben, sich wiederfinden können oder mit dem man seinen eigenen Stammbaum zurückverfolgen kann. Auch kann man Fragen an eine größere Community richten, um Kontakte aufzubauen. Sowohl die Natchez aus Oklahoma als auch die vom Edisto nutzen dieses Mittel. Damit besteht eine Chance noch mehr Menschen auch in weit entfernten Regionen zu finden, die sich den Natchez zugehörig fühlen.  

Webseite der Natchez-Kusso

Webseite Natchez Kusso Tribe, South Carolina

Die Geschichte der Natchez

Jeder, der hört, dass Natchez heute sowohl in Oklahoma wie auch in South Carolina leben, kann unschwer erkennen, dass diese Gebiete Hunderte von Kilometern entfernt sind von jener Region am unteren Mississippi, in der die Stadt liegt, die ihren Namen trägt. Nach Gore sind es über 700, bis zum Edisto über 1200 km. Für eine individuelle Mobilität mögen diese Entfernungen kein Hindernis sein. Wenn aber eine gesamte Ethnie von ihrem Ursprungsort völlig verschwindetund nur noch an weit entfernten Orten nachweisbar ist, dann bedarf dies einer Erklärung. Damit stellt sich die Frage, was geschehen ist, dass Menschen gleicher Herkunft heute an ganz unterschiedlichen Orten leben. Um diese Frage zu beantworten, muss man etwa 300 Jahre in die Vergangenheit zurückschauen.

300 Jahre zurück: unterschiedlichen Auffassungen von die Expansionsbestrebungen Frankreichs 

Führt man sich die Besiedlungsgeschichte Nordamerikas mit ihrer brutalen Landnahme quer über den gesamten Halbkontinent von Ost nach West vor Augen, dann muss es einen nicht wundern, dass es auch zwischen den Natchez und den am unteren Mississippi siedelnden Franzosen zu Konflikten kam, bei denen das bebaubare Land eine Rolle spielte. 

In den Jahren zu Beginn des 18. Jahrhunderts veränderte sich die französische Kolonialpolitik in dem damaligen Louisiana weg von reinen Handelsbeziehungen zwischen den indigenen Gruppen und den Kolonisten hin zur Plantagenwirtschaft mit einer Aneignung des Grund und Bodens durch die Plantagenbesitzer. 

Dadurch wurden die zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Europäern völlig unterschiedlichen Auffassungen von Eigentum deutlich aufgezeigt. Für die indigenen Gruppen war der für den Anbau geeignete Boden Gemeinschaftsbesitz, der von allen Mitgliedern der Gemeinschaft gemeinsam bearbeitet oder nur zum Zwecke des Anbaus zeitweilig einzelnen Familien überlassen wurde und dessen Ertrag, soweit er über den individuellen Bedarf hinausging, der ganzen Gemeinschaft zur Verfügung stand. 

"Die Große Sonne", Oberhäuptling der Natchez; Zeichnung von Antoine-Simon Le Page du Pratz, 1758

"Die Große Sonne", Oberhäuptling der Natchez; Zeichnung von Antoine-Simon Le Page du Pratz, 1758

Die Kolonisten brachten dagegen ihren Begriff von individuellem Grundeigentum mit nach Nordamerika und legten Verträge mit den einheimischen Bewohnern in ihrem Sinne aus. Die Erträge, die die Bodenbearbeitung erbrachte, wurden folglich auch nicht wie in vorkolonialer Zeit wieder verteilt, sondern kamen nur denjenigen zugute, die im Besitz des Landes waren. 

Mit Aufkommen der Plantagenwirtschaft wurde zudem für einen Markt außerhalb Nordamerikas und damit für eine der indigenen Bevölkerung völlig unbekannten Region produziert. 

Hinzu kam die geopolitische Bedeutung des Mississippis für die Expansionsbestrebungen Frankreichs. Durch seine Beherrschung wurde eine Verbindung zu Französisch-Kanada hergestellt und damit gleichzeitig ein Riegel um das Gebiet der Engländer gelegt, sowie eine Verbindung des spanischen Mexikos mit den spanischen Besitztümern in Florida verhindert.

Landraub, gewalttätige Auseinandersetzungen und der letzte Aufstand der Natchez

Das Schicksal der Natchez zeigt, dass die durch die Kolonisten hervorgerufenen ökonomischen Veränderungen auf eine Vielzahl von divergierenden Interessen sowohl unterschiedlicher indigener Gruppen als auch miteinander rivalisierender europäischer Einwanderer trafen. 

Bündnisse zwischen indianischen und europäischen Gruppen konnten gleichzeitig bedeuten, dass sich sowohl eine indianische Gruppe über eine andere, als auch, dass sich Franzosen über Engländer oder umgekehrt Vorteile von der Übereinkunft versprachen. 

Daneben gab es auch bereits vor Ankunft der Europäer Spannungen innerhalb der einheimischen Gruppen sowie zwischen den einzelnen Häuptlingstümern. So war die Macht der über ein ganzes Konglomerat von Dörfern herrschenden obersten Häuptlinge der Natchez, der Großen Sonnen, schon seit der spanischen De-Soto-Expedition durch den Südosten der 40er Jahre des 16. Jahrhunderts im Schwinden begriffen. Eingeschleppte Krankheiten und der von England ausgelöste Sklavenhandel führten zum Zusammenbruch vieler Häuptlingstümer und dem Entstehen neuer sozialer Strukturen. Ein Beispiel hierfür ist die Integration geflohener Nachbargruppen in die Gesellschaft der Natchez.

Die Spannungen zwischen Einheimischen und Franzosen nahmen zu, als unter Ludwig XIV. ein  Privatinvestor dafür sorgen sollte, dass die bislang unrentable Kolonie Gewinn abwarf. 

Im Zuge dieser Bestrebungen wurde im Gebiet der Natchez ein Handelsposten und nach einem Überfall der Natchez auf französische Reisende zur Befestigung dieses Postens ein Fort errichtet. 

Mit der Verwaltung der Kolonie durch die Indienkompagnie und die vermehrte Ansiedlung von Kolonisten aus dem Mutterland wurde die Kontrolle weiter verstärkt. Eine Aufgabe der Indienkompagnie war es, Landrechte an Privatpersonen zu vergeben. Ein großer Teil der Neuankömmlinge siedelte sich auf dem Land der Natchez an, um dort Anbau zu betreiben. 

Postkarte von 1907, aufgenommen an jener Stelle, an der Fort Rosalie stand, 1729 Schauplatz der Schlacht zwischen den Natchez und französischen Siedlern

Postkarte von 1907, aufgenommen an jener Stelle, an der Fort Rosalie stand, 1729 Schauplatz der Schlacht zwischen den Natchez und französischen Siedlern

Nach zwei weiteren gewaltsamen Auseinandersetzungen kam es 1729 wegen eskalierender Streitigkeiten um Land zu einem letzten Aufstand der Natchez gegen die Kolonialmacht, der schließlich 1735 endgültig blutig niedergeschlagen wurde. Hunderte Natchez, Männer, Frauen und Kinder, wurden als Sklaven nach Santo Domingo verschleppt, einige blieben in der Nähe ihrer Heimat und führten dort eine Art Guerillakrieg und die meisten suchten Zuflucht bei ihren Verbündeten, den Chickasaw.

Die Auseinandersetzungen zwischen Natchez und Franzosen zeigen, dass die Landnahme durch die Europäer nicht nur neue, den Indianern unbekannte Eigentumsformen sondern auch völlig neu Produktionsformen einführten. Die neuen Bodenbearbeitungstechniken waren den einheimischen überlegen und führten bald zu einer Bedrohung der indianischen Nahrungsmittelversorgung (Milne, 2015: 88 -91, 116). Erschwerend kam hinzu, dass um das für den Anbau geeignetste Land von einer so zahlreichen Bevölkerung konkurriert wurde wie sonst kaum irgendwo in Nordamerika. (Milne, 2015: 93, 98).

Milne (2015: 70 – 75, 105 f., 111, 115 – 119) weist außerdem nach, dass die traditionellen Streitschlichtungsmethoden der Natchez kaum mehr die Autorität der Großen Sonnen stützten. Verantwortlich hierfür macht Milne (2015: 116 f.) die zwischen Einheimischen und Siedlern gemischte Siedlungsweise, wodurch sich viele Beziehungen zwischen diesen beiden Gruppen dem Einfluss der alten Eliten entzogen, und den Zugang der weiter am Rande der Natchez-Region gelegenen Dörfer zu englischen Waren, die dem Großen Dorf nicht zur Verfügung standen und somit von den Großen Sonnen ihren Untertanen auch nicht zur Verfügung gestellt werden konnten.    

Zuflucht bei den Chickasaw

Bei den Chickasaw trafen die Natchez auf eine in sich gespaltene Gesellschaft. Die Region, in der die Chickasaw an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert lebten, war sowohl für die Engländer als auch die Franzosen von Bedeutung. 

Frankreich benötigte diese Region im Norden des heutigen Bundesstaates Mississippi, um eine Verbindung von französisch Louisiana mit Kanada herzustellen, und England wollte im Zuge seines Vordringens von Ost nach West genau diese Verbindung verhindern (Johnson et al., 2008: 5). 

Diese exponierte Lage führte dazu, dass die zwei Hälften, in die die Chickasaw-Gesellschaft gegliedert war, die rote und die weiße Hälfte, sich der jeweils anderen europäischen Kolonialmacht zuwandten. 

Die weiße Hälfte, die den Franzosen zuneigte, widersetzte sich der Aufnahme der Natchez, während die rote Hälfte, die mit den Engländern sympathisierte, die Flüchtlinge in ihren Reihen akzeptierte (Johnson et al., 2008: 8). Archäologische Belege bestätigen, dass die geflohenen Natchez vor allem in den pro-englischen Dörfern Aufnahme fanden (Johnson in McEwan, 2000: 98). Die weiße Hälfte ging in ihrem Widerstand gegen die Neuankömmlinge sogar so weit, dass sie Verhandlungen mit den Franzosen über eine Auslieferung der Natchez führte (Johnson et al., 2008: 8). 

Der Friedenshäuptling, der in einem Dorf der weißen Hälfte lebte, drohte damit, sich einem Verbündeten der Franzosen, den Choctaw, zuzuwenden (Johnson in McEwan, 2000: 204). Allerdings war auch die rote Hälfte sich ihrer Sache nicht uneingeschränkt sicher, obwohl sie sich einer Übergabe der Natchez an die Franzosen erfolgreich widersetze (Johnson et. al., 2008: 8, 23). Dies dürfte ihr dadurch erleichtert worden sein, dass sie von den Engländern mit großen Mengen an Waffen und Munition versorgt wurde (Johnson et al., 2008: 23). Die Natchez-Frage blieb ungelöst und war weiterhin ein Grund andauernder Streitigkeiten zwischen Chickasaw und Franzosen. 

An der Weigerung, die Natchez auszuliefern, scheiterte das Zustandekommen eines Bündnisses zwischen Chickasaw und Franzosen mit der Folge militärischer Angriffe der französischen Kolonialtruppen auf Chickasaw-Dörfer (Johnson in McEwan, 2000: 97). 

Als ein Teil der Chickasaw weiter nach Osten bis nach Georgia und South-Carolina zog, um sich am Savannah-River und damit näher bei ihren englischen Verbündeten niederzulassen, begleitete sie eine Gruppe von Natchez (Smyth, 2016: 108 f.). Eine andere Gruppe von Natchez siedelte sich gemeinsam mit jenen Chickasaw, die nicht den Weg bis zum Savannah mitgehen wollten, ungefähr auf halber Distanz zwischen dem angestammten Chickasaw-Land im Nordosten des heutigen Mississippi und den Savannah-Chickasaw an (Smyth, 2016: 110 f.).

Landkarte zur Odyssee der Natchez

Neue Heimat bei den Cherokee

In ihrer neuen Heimat kamen die Natchez mit den benachbarten Cherokee, einem weiteren Verbündeten der Engländer, in Kontakt. Das Fehlen der uneingeschränkten Unterstützung aller Chickasaw-Gruppen dürfte sich günstig auf die Annäherung an die Cherokee ausgewirkt haben. 

Die Cherokee siedelten in fünf geographischen Bezirken, die aus mehreren Dörfern bestanden und alle im Grenzgebiet der heutigen Bundesstaaten Tennessee, North und South Carolina lagen (Schroedl in McEwan, 2000: 204 f.). 

Im 18. Jahrhundert waren sie ein regelrechter Schmelztiegel unterschiedlicher indigener Gruppen sowohl aus dem Norden als auch dem Südosten (Hamilton, o. D.: 26). Die Natchez zog es insbesondere in den Bezirk der Overhill Towns, in den Tälern des Hiwassee und des Little Tennessee. Archäologische Funde bestätigen, dass Natchez sich am Little Tennessee niedergelassen hatten (Schroedl in McEwan, 2000: 215). Außerdem gibt es Hinweise auf eine Gruppe von Natchez am Hiwassee (Barnett, 2007: 132). 

Die Engländer legten großen Wert darauf, sich mit Hilfe von Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen vor allem die Unterstützung der Bewohner der Overhill Towns an der Grenze zum Einflussbereich der Creek und der Franzosen zu sichern (Schroedl in McEwan, 2000: 217). Erst dadurch erlangten die Overhill-Dörfer allmählich die Oberhand über die anderen Cherokee-Regionen und ihre führenden Personen übten bald politische und militärische Macht über alle Cherokee aus. 

Den Dörfern am Little Tennessee und am Hiwassee war es offenbar unter allen Cherokee-Dörfern noch am ehesten gelungen, den Zerstörungen durch die englische Kolonialmacht und später durch die US-amerikanischen Streitkräften zu entkommen (Schroedl in McEwan, 2000: 222 f.).

Die Beziehungen der Natchez zu den Cherokee scheinen so eng gewesen zu sein, dass sie ihnen einen weitreichenden Schutz vor feindlichen Übergriffen boten (Smyth, 2016: 123 ff.). Nach der amerikanischen Unabhängigkeit erlebten die Cherokee unter dem Einfluss der neuen US-Regierung eine erstaunliche Renaissance (Lindig/Münzel, 1976: 85 f.). Es wurde eine Hauptstadt gegründet, parlamentarische Strukturen entstanden und für die Sprache der Cherokee wurde ein eigenes Alphabet erarbeitet. Die Cherokee wurden zu einem Vorbild für die anderen indigenen Gruppen des Südostens, den Chickasaw, den Choctaw, den Creek und den Seminolen

Bei den Abihka-Creek: zwischen Engländern und Franzosen

Mit den Natchez fand die englische Kolonie im Südosten Nordamerikas neben den Chickasaw und den Cherokee einen zusätzlichen Verbündeten gegen ihren französischen Rivalen im Kampf um die Vorherrschaft in Nordamerika. Als Kundschafter gegen das benachbarte spanisch Florida oder als Helfer beim Einfangen entlaufener afrikanischer Sklaven leisteten die Natchez den Engländern so wertvolle Dienste, dass sie sie mit Land am Edisto-River belohnten (Smyth, 2016: 123 ff.).

Auf Grund gemeinsamer Aktionen mit den Engländern und ihrer gemeinsamen Sklavenraubzügen gab es schon vor Ankunft der Natchez eine feste Bindung zwischen den Chickasaw und den Creek, die einige Natchez vom Little Tennessee zu nutzen wussten, um sich im Gebiet der Abihka-Creek niederzulassen (Smyth, 2016: 139 f.). 

Die Abihka-Creek lebten im Nordwesten des heutigen Alabama, an der Grenze zum nordwestlichen Teil des heutigen Georgia, und damit nördlich der von den Alabama- und Tallapoosa-Creek bewohnten Gebiete. Als die Abihka im 18. Jahrhundert weiter nach Süden zogen (Waselkov und Smith in McEwan, 2000: 247), dürfte für die Natchez eine eher ungemütliche Situation entstanden sein. Die Alabama lavierten nämlich bewusst zwischen den englischen und französischen Fronten und gingen dabei sogar so weit, den Franzosen den Bau von Fort Toulouse auf ihrem Territorium zu gestatten (Waselkov und Smith in McEwan, 2000: 249). 

Unter dem Einfluss der Franzosen griffen Creek-Gruppen auch Cherokee-Siedlungen, vor allem die im Grenzbereich zwischen den beiden Carolinas und dem heutigen Georgia liegenden, an, sodass deren Bewohner sich verstärkt in die sichereren Gegenden wie den Overhill-Towns zurückzogen (Rodning, 2010: 15 f., 21). 

Größere Sicherheit könnte den Natchez dagegen die Nähe der Abihka zu den im östlichen Teil des heutigen Alabama siedelnden Okfuskee-Creek geboten haben (Waselkov und Smith in McEwan, 2000: 255). Trotz der für die Natchez gefährlichen Versuche der Franzosen, die Creek für ihre gegen die Engländer gerichteten Interessen einzuspannen, gelang es den Natchez, sich bei den Creek dauerhaft und nachweislich bis ins 19. Jahrhundert zu etablieren, ohne ihre eigene Identität aufgeben zu müssen (Smyth, 2016: 141 ff., 157 ff.). 

Anders als bei den Cherokee war nach dem Ende Frankreichs als amerikanischer Kolonialmacht die gesellschaftliche Entwicklung der Creek von Niedergang gekennzeichnet (Lindig/Münzel, 1976: 84). Eine Schaukelpolitik zwischen zwei Kolonialmächten war jetzt nicht mehr möglich.

Spuren einer Rückkehr in die alte Heimat

Nicht ganz auszuschließen ist, dass Natchez in ihre alte Heimat zurückkehrten, nachdem die Gefahr durch französisches Militär nach dessen Abzug nicht mehr gegeben war. Eine Erwähnung in den Memoiren eines britischen Offiziers legen diese Vermutung nahe (Barnett, 2012: 152). Dort wird von einem Dorf gesprochen, das den gleichen Namen trug wie eines der ehemaligen Natchez-Dörfern aus der Zeit vor 1729. Darüber hinausgehende Belege, die diese Vermutung erhärten könnten, sind bis heute jedoch noch nicht gefunden worden.    

Vertreibung ins „Indianerland“ Oklahoma, Verbleib der Edisto-Natchez

In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts erlitten die verbliebenen Natchez das gleiche Schicksal wie ihre gastgebenden Gruppen im Südosten, denen ihr Land genommen wurde und die weiter nach Westen in das sog. Indianerland vertrieben wurden (Barnett, 2007: 133, vgl. auch https://www.arbeitskreis-indianer.at/oklahoma-vielvoelkerstaat-indianischer-nationen vom 16.03.2011). Mit ihnen gelangten die meisten Natchez nach Oklahoma, wo ihre Nachkommen heute noch leben. 

Die Edisto-Natchez durften offenbar in South Carolina bleiben und dort ihr Leben als Siedler fristen (Barnett, 2007: 134). 

Der Überlebenswille und die Überlebenskunst der Natchez-Kultur

Das über Jahrhunderte währende Überleben von Teilen ihrer Traditionen, ohne dass diese an eigene politische Strukturen gebunden waren, zeigt, dass es den Natchez offenbar gelungen war, auch in der Fremde eine Nische zu finden, in der Elemente ihrer Kultur fortbestehen konnten. 

Das deckt sich mit den Feststellungen von Perdu und Green (2013: 7) und auch Mattioli (2017: 351) von einer erstaunlichen Langlebigkeit indianischer Lebensgewohnheiten bis in unsere heutige Zeit. 

Hierzu passt, dass nach einer bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts andauernden ständigen Abnahme der Bevölkerungszahlen der indigenen Gruppen Nordamerikas in den letzten Jahrzehnten eine Umkehr bis hin zu einem Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen ist. Dahinter mag ein verstärktes Bewusstsein von der eigenen Identität und ein damit einhergehendes Bekenntnis zu der eigenen ethnischen Gruppe stehen. 

Soziologen, Ethnologen, Anthropologen und indigene Forscher haben sich in der letzten Zeit vermehrt den Überlebenden des Ethnozids an der Urbevölkerung Nordamerikas gewidmet.

Gerade kleinere Gruppen, die als ausgestorben oder weitestgehend ausgestorben galten, sind damit ins Blickfeld der Spurensuche gelangt.

Zukünftigen Untersuchungen bleibt es überlassen herauszufinden, was die Gründe für einen derart beharrlichen Überlebenswillen sind, dass sich heute wieder Menschen wie die Natchez auf ihre Herkunft berufen.          

Karl-Hermann Hörner



Zum Autor:

Karl-Hermann Hörner

Studium der Soziologie, Ethnologie und Geschichte an der Goethe-Universität Frankfurt/M. Abschluss mit dem Diplom in Soziologie und den beiden Staatsexamina für das Lehramt an der Sek. I. Schwerpunkte: Soziologie nicht-industrieller Gesellschaften, Entwicklungssoziologie, Ethnologie des Südostens Nordamerikas, Geschichte Hispanoamerikas.

Bis zum Ruhestand berufliche Tätigkeit in einem Schulbuchverlag.

Veröffentlichungen des Autors:

Die Natchez, Die Natchez vom Unterlauf des Mississippi (veränderte Neuauflage); erhältlich u.a. bei:
> GRIN Publishing GmbH: Die Natchez vom Unterlauf des Mississippi
   (mit Leseprobe)

Die Natchez  - Der Weg in die Diaspora (kurze Ergänzung zu ‚Die Natchez vom Unterlauf des Mississippi'); kostenfrei lesen unter:
> GRIN Publishing GmbH: Die Natchez. Der Weg in die Diaspora

Webseite des Autors:

Webseite "Die Natchez" von Karl-Hermann Hörner

Literatur:

Barnett, James: The Natchez Indians. Jackson 2007.

Barnett, James: Mississippi ́s American Indians. Jackson 2012.

Fogelson, Raymond D. (ed.): Handbook of North American Indians, Vol. 14, Southeast. Washington 2004.

Hamilton, Chuck: The True Origin of the Cherokee and the Pre-History of the Cherokee Country. Ohne Ort, ohne Datum.

Hörner, Karl-Hermann: Die Natchez vom Unterlauf des Mississippi

Hörner, Karl-Hermann: Die Natchez  - Der Weg in die Diaspora

Johnson, Jay K., John W. O ́Hear, Robbie Ethridge, Brad R. Lieb, Susan L. Scott und H. Edwin Johnson: Measuring Chickasaw Adaption on the Western Frontier of the Colonial South. In: Southeastern Archaeology, Vol. 27, No. 1, 2008.

Lindig, Wolfgang und Mark Münzel: Die Indianer. München 1976.

Mattioli, Aram: Verlorene Welten. Stuttgart 2017.

McEwan, Bonnie G. (ed.): Indians of the Greater Southeast. Gainsville 2000.

Milne, George E.: Natchez Country. Athens 2015.

Perdue, Theda und Michael D. Green: Die Indianer Nordamerikas. Stuttgart 2013.

Rodning, Christopher B.: European Trade Goods at Cherokee Settlements in Southwestern North Carolina. In: North Carolina Archaeology, Vol. 59, 2010. 

Smyth, Edward G.: The Natchez Diaspora (Diss.). Santa Cruz 2016.


Links: