„Warum reden alle nur von Geronimo? Es gab so viele andere Apachen, deren Namen in der Zeit verloren gingen.“
Ich bin zum ersten Mal im Museum des Reservats des Mescalero Apache Tribe, mitten in den Bergen der Sacramento Mountains in New Mexico.
Museumskurator im Mescalero Apache Reservat
Während es am Fuß der Berge in der Ebene an die 30 Grad heiß ist, hat es hier oben 10 Grad Celsius weniger. Unten ist Wüste, karges verbranntes Land, hier oben ist es grün, mit Nadelbäumen, dazwischen Laubbäume.
Das Reservat liegt auf einer Höhe von über 1.600 Meter über dem Meeresspiegel. Die höchste Erhebung ist der 3.650 Meter hohe Sierra Blanca Peak, einer der heiligen Berge der Apachen. An seinem Fuße liegt ein Schigebiet, das vom Mescalero Tribe betrieben wird, das „Ski Apache“.
Nach meinem Eintritt durch die Glastüre des Museums begrüßt mich freundlich ein älterer Herr mit Schildkappe und langen schwarzen Haaren. Ich könne mir gerne alles ansehen, auch fotografieren und wenn ich eine Frage hätte, dann solle ich ihn gerne fragen. Außer mir sind keine anderen Besucher im Museum.
Nach dem Rundgang durch das Museum erwartet mich der ältere Herr. Er fragt mich, woher ich komme und was ich in der Gegend mache. Er setzt sich neben die Eingangs-Glastüre und weist mich an, auf dem Sessel gegenüber Platz zu nehmen.
Warum reden alle nur von Geronimo?
Dann beginnt er seine Rede: „Warum reden alle nur von Geronimo? Es gab so viele andere Apachen, deren Namen in der Zeit verloren gingen*.“ Er spricht langsam, mit melodiöser warmer klarer Stimme, der man gerne zuhört. Ich bemühe mich, ihn nicht anzusehen, da ich weiß, dass es bei den Apachen unhöflich ist, jemanden direkt in die Augen zu sehen, außer es geht um etwas sehr Wichtiges. Man sieht sich bei der Begrüßung kurz in die Augen und richtet dann den Blick knapp am Gesicht vorbei.
„Es gab so viele andere, viele deren Namen wir nicht mehr kennen, andere, deren Namen wir kennen. Da war Cochise, Mangas Coloradas, Victorio und viele andere. Das waren wirklich große Führer. Geronimo war kein guter Führer. Er war Medizinmann und hatte besondere Kräfte. Er war zu impulsiv, zu unberechenbar um zum Häuptling gewählt zu werden.
Aber seine Kräfte waren groß. Er konnte sehen, wo die Feinde waren und wie viele sie waren. Und als es keinen Ausweg mehr gab, sagte er den Menschen: ‚Du setzt dich da hin und du setzt dich dorthin und du dort. Betet und bleibt im Gebet, dann werden euch die Feinde nicht sehen.‘ Und so war es dann: die Soldaten ritten direkt an ihnen vorüber und konnten sie nicht sehen.
Und einmal hat er sogar die Morgendämmerung angehalten, sodass seine Leute in der Dunkelheit sicher über eine Ebene entkommen konnten. So waren seine Kräfte. Die Weißen glauben das nicht, aber unsere Großeltern haben das erlebt und sie haben uns das so erzählt.“
Cochise - legendärer Häuptling der Apachen
Er erzählt von den Tagen von Cochise, in denen die Chiricahua-Apachen frei in einem riesigen Gebiet des heutigen New Mexico westlich des Rio Grande umherstreiften, hinein ins heutige Arizona und weit hinunter nach Mexiko.
Im Sommer siedelten sie in den Bergen rund um die Gila Wilderness, wo es kühler war, oder in den Chiricahua- oder Dragoon-Mountains, im Winter in den wärmeren Regionen der Sierra Madre in Mexiko.
Nicht ohne Stolz erwähnt der Erzähler, dass Cochise einer seiner Vorfahren war.
Die Apachen** waren nie ein einheitliches Volk, sondern bestanden aus Gruppen von selten mehr als 60 Personen, die einen eigenen gewählten Häuptling hatten.
Es gab große Häuptlinge wie Cochise oder Mangas Coloradas, denen Krieger aus anderen Stämmen folgten, wenn sie zum Beispiel für Kriegszüge nach Unterstützung riefen.
Aber abgesehen davon waren die Apachen viele kleine unabhängige und eigenständige Gruppen. Der Erzähler gehört den Gruppen der Chihende (andere Bezeichnungen sind Mimbreno-, Mogollon-, Warm Springs-Apache, letzteres aufgrund der heißen Quellen in ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet) an, die zu den Chiricahua gezählt wird. Sie hatten bekannte Häuptlinge wie Mangas Coloradas, Victorio, Chihuaha oder Cuchillo.
Die letzten freien Apachen - Kapitulation
Der Museumskurator erzählt von der verhassten San Carlos Reservation, auch „Hell‘s Forty Acres“ genannt, also „Der Hölle 40 Acker“, in der verschiedenste Apache-Gruppen konzentriert wurden. Niemand mochte dieses malariaverseuchte Gebiet. Die Apachen hungerten und viele starben an Krankheiten. Also sind sie mehrfach ausgebrochen.
Nach und nach kapitulierten die Apachen. Die Allerletzten waren eine kleine ChiricahuaGruppe von 18 Männern, 13 Frauen und 6 Kindern unter Medizinmann Geronimo und Häuptling Naiche (Sohn von Cochise). Sie wurden monatelang von über 9.000 Soldaten und Freiwilligen ergebnislos gejagt. An manchen Tagen legten sie bis zu 120 Kilometer zurück - teilweise zu Fuß. Letztendlich ergaben sie sich.
Die Kapitulationsbedingungen waren: zwei Jahre in Florida, mit ihren Familien und dann sollten sie eine eigene Reservation in ihrem Heimatland erhalten. Tatsächlich wurden es 27 Jahre Kriegsgefangenschaft und sie haben bis zum heutigen Tag kein Fleckchen Erde ihrer Heimat zurück erstattet bekommen.
Nicht nur die Abtrünnigen der Chiricahuas kamen in Kriegsgefangenschaft, sondern auch jene, die schon Jahre friedlich in der San Carlos Reservation lebten. Und sogar jene, die der Armee als Scouts gedient hatten, um Geronimo aufzuspüren und zur Kapitulation zu überreden.
Der Armee–Scout, der unter dem Namen Chatto bekannt ist, wurde auf der Heimreise aus Washington D.C. abgefangen, wo er eine Ehrenmedaille für seine Dienste als Scout für die US–Armee erhalten hatte.
Auch er wurde ins weit entfernte Florida in die Kriegsgefangenschaft deportiert. (Wie ich später erfuhr, war Chatto der Urgroßvater des Erzählers.)
Die Odyssee der Chiricahuas - 27 Jahre Kriegsgefangenschaft
Es waren 500 Chiricahuas, die in Eisenbahnwagons den langen Weg nach Florida in die Kriegsgefangenschaft antraten. (Bei einem späteren Besuch zeigt Freddie mir das mit Schreibmaschine verfasste Manuskript der „Chiricahua 500“, das alle auflistet, die damals nach Florida gebracht wurden.)
Nur mehr 500 waren bei Beginn der Kriegsgefangenschaft übrig von den Stämmen der Chiricahuas***: den Chokonen, den Chihende, den Bedonkohes und den Nednais. 27 Jahre später, als die Kriegsgefangenschaft aufgehoben wurde, lebten von diesen nur mehr knapp über 80 Personen.
Zwei Jahre waren sie zu Beginn der Kriegsgefangenschaft in Florida in Militärforts aus der Zeit der Spanier untergebracht, die Männer über 600 Kilometer getrennt von ihren Familien. Die Zustände waren katastrophal. Von Beginn der Gefangenschaft an starben viele an Krankheiten wie Keuchhusten und Tuberkulose.
Die Kinder wurden ihren Familien entrissen, sie wurden zwangsweise in die weit entfernte Indianerschule nach Carlisle (Pennsylvania) verbracht. Ihnen wurde alles genommen, was sie mitgebracht hatten, sie wurden in die Kleidung von Weißen gesteckt, den Jungen die Haare geschnitten. Das Sprechen der eigenen Sprache war bei Strafe verboten.
„Töte den Indianer, rette den Menschen“ war der Slogan der brutalen Umerziehungspolitik. Die Kinder durften nur nach Hause, wenn sie todkrank waren, um die ohnehin verheerende Todes-Statistik der Carlisle-Schule zu entlasten.
Die nächste Station nach dem Fort in Florida war Alabama. Hier waren die Zustände etwas besser.
Schließlich wurden sie wieder verlegt. Diesmal nach Fort Sill in Oklahoma. Dort blieben sie bis nach dem Tod von Geronimo.
27 Jahre war ein ganzes Volk - Männer, Frauen und Kinder - in Kriegsgefangenschaft gewesen. Nach dem Ende der Kriegsgefangenschaft bemühten sich die Überlebenden vergeblich, ein Reservat in ihren Heimatländern zu bekommen. Die Mescaleros boten ihnen an, sich in ihrem Reservat anzusiedeln. 1913 trennten sich ganze Familien: ein Drittel blieben in Fort Sill, zwei Drittel übersiedelten ins Reservat der Mescaleros.
ehemaliges Siedlungsgebiet der Chiricahua- und Mescalero-Apachen; heutige Mescalero Apache Reservation
Fred Kaydahzinne - Künstler, traditioneller Medizinmann und Sänger
Es ist spät geworden. Der ältere Herr hat seine Rede beendet. Wir schweigen. Dann bemerke ich, dass er mich direkt ansieht. „Du bist gesund, das ist gut. Auf deiner linken Kiefernseite, da sehe ich etwas Dunkles, das solltest du ansehen lassen. Es ist noch nicht bedrohlich, es kann es aber werden.“ Er zeigt mir auf seinem Gesicht, an welcher Stelle er das „dunkle Etwas“ sieht. (Einige Monate später habe ich meinen jährlichen Kontrolltermin beim Zahnarzt. Auf dem Röntgenbild ist ein Eiterherd zu sehen, der sich bereits durch den Kieferknochen gefressen hat. Er sitzt an der Stelle, die mir der Erzähler gezeigt hat.)
Zum Abschied gibt er mir die Hand, nach Art der Weißen****. Er sieht mir in die Augen und fragt nach meinen Namen. „Mein Name ist Fred Kaydahzinne, aber nenn mich Freddie. Weißt du, wir Apachen sagen nicht ,Goodbye’, wir sagen ,Wir sehen uns wieder’. Es war gut, dass du hergekommen bist. Ich weiß, dass wir uns wieder sehen werden.“
Wir tauschen noch die E-Mail-Adressen aus und dann mache ich mich auf den Weg zum „Inn of the Mountain Gods“, dem Fünfsterne-Hotel des Reservats, in dem ich für heute Nacht gebucht habe.
Bei weiteren Treffen erfahre ich mehr über das Leben von Freddie und vom Leben im Reservat. Er ist der Ururenkel von Cochise und Dostehseh (Tochter von Mangas Coloradas), Urenkel von Cochise-Tochter Dashdenzhoos und Kaydahzinne („Er kämpft ohne Waffen“), Enkel von deren Tochter Lena und ihrem Ehemann Moris Chatto (Sohn des Armee-Scouts Chatto).
Fred ist traditioneller Medizinmann, Sänger und Künstler. Er hatte in Santa Fe studiert und erzählt gerne von seiner Zeit in Santa Fe, wo er sechs Jahre gelebt hatte. Würde er nicht hier leben, würde er in Santa Fe leben wollen, er habe die Zeit dort sehr genossen. Er erzählt mir von den Powwows, auf denen er aufgetreten war, von Kunstausstellungen und Plattenaufnahmen. „Santa Fe ist wunderbar: Die Menschen, die Architektur, die Kunst und sogar das Wetter.“
Der Mescalero Apache Tribe - Leben im Reservat heute
Freddie war jahrelang Mitglied der Stammesregierung. Sein Ressort war das „Housing-Program“, das dafür sorgt, dass die Stammesmitglieder im Reservat ein Haus haben.
Es gibt keine Obdachlosen im Reservat, für Mittellose gibt es soziale Einrichtungen wie eine Mittagsküche und medizinische Versorgung. Etwas über 3.000 Stammesmitglieder wohnen im Reservat. Außer den namensgebenden Mescaleros sind hier auch Lipans und - wie gesagt - Chiricahuas angesiedelt.
Es gibt aber auch viele, die in Städten leben. Manche um zu studieren. Einige kommen nach dem Studium zurück, andere bleiben in den Städten.
Im Reservat gibt es genug Arbeit. Der Mescalero Apache Tribe betreibt das Fünfsterne–Hotel „Inn of the Mountain Gods“ mit Casino und anliegendem Golfplatz, sowie "Ski Apache". Der Mescalero Apache Tribe ist im Lincoln County der größte Arbeitgeber, im Otero County der zweitgrößte. Jobs gibt es nicht nur in der Touristik, sondern auch in der Forstwirtschaft. Eine weitere gute Einnahmequelle ist die Jagd. Die – meist weißen – betuchten Jäger lassen sich die Jagd so einiges kosten.
Apachen heute - zwischen Traditionen und Social Media
Auch hier im Reservat fürchtet man, dass die Sprache und die Traditionen verloren gehen könnten. Die Jungen wollen sich immer weniger mit den Traditionen befassen, wollen nicht mehr Apache sprechen, beten zu wenig zum Schöpfer, sehen zu viel fern, sind zu viel auf Social Media, trinken Alkohol, wollen fort von hier, beklagt sich Freddie.
„Wir Apachen haben viele Traditionen. Von Geburt an wird jeder neue Lebensabschnitt mit einer Zeremonie geehrt. Jeder Tag wird mit einem Gebet begonnen, für jede Tätigkeit gibt es ein Gebet und der Tag wird mit einem Gebet beendet. Zeremonien erhalten das Gleichgewicht und die Harmonie im Universum. Auch unsere Lieder sind Gebete und haben Bedeutung.“
Fred Kaydahzinne mit seinem Sohn Bo
„Komm doch im Sommer wieder, wenn wir unsere Zeremonien haben. Unten in der Ebene ist es dann zu heiß, untertags ist es da auch bei uns manchmal heiß. Aber es ist schön, am Abend beim Feuer zusammen zu sitzen und die alten Lieder zu hören.“
Jedes Jahr im Juli gibt es das größte und wichtigste Fest im Reservat: Das viertägige Einweihungsfest der Mädchen. Das Fest ist von wichtigen Zeremonien begleitet, im Mittelpunkt sind die Mädchen, die auf ihr Leben als Frauen vorbereitet werden. Frauen sind das zentrale Element in der Kultur der Apachen. Früher musste dieses Fest für ein Mädchen stattfinden, sobald sie ihre erste Periode hatte. Das Fest war so wichtig, dass es sogar in Kriegszeiten abgehalten wurde, wenn dann auch nur verkürzt. Im Mescalero-Reservat findet nun das Fest für alle Mädchen, die sich den anstrengenden Zeremonien unterziehen wollen, am Wochenende um den 4. Juli statt.
Abschied
Einige Jahre später. An einem warmen Oktobertag biege ich mit meinem Jeep in den Eagle Drive in Mescalero ein. Es ist sonnig wie fast immer in New Mexico, die Laubbäume tragen herbstliches Gelb–Rot.
Mescalero ist der zentrale Ort der Mescalero-Reservation; kein „Ort“ in unserem Sinne. Die Bewohner des Reservats leben in Häusern verstreut über das Reservat und wie es auch früher üblich war, die Mitglieder der verschiedenen Clans nahe beieinander.
Die „Ortschaft“ Mescalero besteht lediglich aus Verwaltungsgebäuden, dem Museum, einer Tankstelle, einem „Tribal Store“ und zwei Restaurants. Etwas weiter entfernt liegt das Krankenhaus der Reservation.
Der mir gut bekannte rote Truck steht vor dem Museum; dessen Besitzer: Fred Kaydahzinne. Er ist also da. In seiner letzten E–Mail schrieb er, dass es ihm gesundheitlich nicht gut ginge und er daher nicht jeden Tag im Museum sei. Wir vereinbarten einen bestimmten Wochentag. Ich solle zuerst im Museum vorbei sehen, er würde mich gerne dort treffen.
Es dauert einige Zeit, bis Freddie aus dem Büro hinter der Theke hervorkommt. Er geht schwerfällig, schwankt Schritt für Schritt mir entgegen, stützt sich dabei auf einen Stock. „Gut, dich zu sehen.“ Ich erwidere seinen Gruß.
„Setz dich, lass uns reden.“ Ich hole mir einen Sessel und setze mich um 90 Grad versetzt neben ihn.
„Ich hatte eine schwere Zeit. Ich bin sehr krank.“
Wir schweigen. Dann fragt er mich, wie es mir ergangen ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, wie es meiner Familie geht, wann ich in den USA angekommen bin, was ich bisher gemacht habe und wie lange ich bleiben werde.
Er erzählt von seinen Befürchtungen, dass es mit der Welt kein gutes Ende nehmen wird.
„Die Menschen sind zu gierig. Sie wollen immer mehr. Sie haben keinen Respekt vor dem Land, vor den Menschen, vor den Tieren und allem was der Schöpfer geschaffen hat. Unsere Alten sagen, dass die Menschen die Erde zerstören werden. Diese Welt wird ein Ende nehmen.“
Er wiederholt wie schon früher seine Verwunderung darüber, dass die Weißen glauben, dass der Mensch vom Affen abstamme. „Wie können sie das nur glauben? Aber sie wissen ja nicht einmal, wie die Erde erschaffen wurde. Und so glauben sie, sie können sich alles nehmen und zerstören.“
Was soll ich da entgegnen? Ich schweige. Dann wende ich doch ein, dass es auch gute Menschen unter der Weißen gibt und ich doch hoffe, dass es diese schaffen werden, eine Wendung zum Guten zu bewirken.
„Ja, es gibt gute Menschen aus Europa, ich weiß das. Viele Deutsche kommen her und sagen, dass sie Indianer mögen und dass sie die Geschichte kennen.
Die Amerikaner kennen ihre Geschichte nicht. Sie haben uns alles genommen. Sie haben viele von uns getötet – mit Waffen und durch Krankheiten. Sie haben unser Land genommen, das Gold, das Öl und die Mineralien, die das Land hatte. Sie haben uns in Reservate gesteckt, in Land, das die Weißen nicht mochten und sie haben einen Zaun darum herum gezogen und uns wie Gefangene auf diesem Land gehalten. Sie haben uns die Kinder genommen, haben verboten, dass wir unsere Sprache sprechen und unsere Zeremonien abhalten.
Hier nördlich dieser Reservation haben sie Atombomben abgeworfen – gar nicht weit von hier. Und sie haben Chemikalien in den Boden und das Essen gegeben. Jetzt haben wir Diabetes, Herzkrankheiten und viele Krebsfälle. Wir hatten diese Krankheiten früher alle nicht, aber jetzt haben wir sie. Aber niemand interessiert das.“
„Wir, die Chiricahuas, hatten einst Land von der Quelle des Gila Rivers, hinunter bis nach Mexiko in die Sierra Madre, vom Rio Grande bis zu den Dragoon Mountains. Das alles war unsere Heimat. Sieh, was wir jetzt haben: ein Teil von uns ist nach der Kriegsgefangenschaft in Fort Sill in Oklahoma geblieben. Der andere Teil wurde hier von den Mescaleros aufgenommen. Wir haben unseren Bereich innerhalb des Reservats. Aber offiziell werden wir als Mescaleros bezeichnet, denn wir sind als Mitglieder in deren Reservat gelistet. Wie auch die Lipans, die auch von den Mescaleros aufgenommen wurden. Aber wir sind Chiricahuas!“
Ich wende ein, dass ich der Meinung bin, dass es eine Schande ist, dass sie keinen Flecken ihres Landes zurück bekommen haben. „Ja, das ist es.“ Wir schweigen wieder.
Ein Touristenpaar kommt ins Museum. Sie sind aus Houston, Texas. Es gab dort einen verheerenden Sturm in den letzten Tagen. Noch immer sind einige Tausend Menschen ohne Strom.
Während die beiden aus Texas in den Museumsräumen verschwinden, erzählt Freddie von seinem Besuch in Fort Sill in letztem Monat. Er war zu Feierlichkeiten eingeladen, eine Zeremonie abzuhalten und einige der ganz alten Lieder zu singen. Seine Augen strahlen dabei. Aber sie haben das Funkeln verloren, das ich sonst immer gesehen habe und sein verschmitztes Lächeln ist gewichen. „Das Leben ist jetzt schwer für mich und das macht mich manchmal sauer.“ Er zeigt mir seinen Gehstock, den er sich geschnitzt hat. Ohne ihn könne er nicht aufstehen.
Die beiden Besucher aus Texas verabschieden sich. Wir schweigen wieder. Das Rattern der Klimaanlage ist das bestimmende Geräusch. Ich sehe durch die Glastüre dem Wiegen der Äste im Wind zu, die herbstlich golden im Licht der Nachmittagssonne erscheinen.
„Wir können von den Gestirnen am Himmel lernen. Vom Mond, der uns zeigt, dass alles in Zyklen verläuft. Und von der Sonne: jeder Tag ist ein neuer Tag der Schöpfung. Wir stehen auf und sprechen unser Gebet und sagen Dank. Wir geben den Tag über unser bestes und sprechen am Abend unser Gebet und unseren Dank. Und wie die Sonne am Morgen einen neuen Tag beginnt, beginnt unser Leben und wie die Sonne am Abend den Tag beendet, endet einst unser Leben.“
Er nimmt seine Schildkappe ab. „Da schau, ich habe in den letzten Monaten graue Haare bekommen. Viele hier sterben ohne ein graues Haar.“ Und wieder schweigen wir. Die Klimaanlage rattert laut und scheint immer lauter zu werden.
„Weißt du, ich habe keine Angst zu sterben. Ich weiß, der Schöpfer hat für uns eine schöne Welt geschaffen, in die wir gehen, wenn wir sterben. Dort gibt es keine Krankheit und kein Leid und wir werden einander wiedersehen. Ich habe meinem Sohn gesagt, ich möchte an dem schönen Platz in den Bergen begraben werden, den ich ihm gezeigt habe. Von dort ist der Sonnenaufgang so wunderschön zu sehen. Jeden Morgen wird die Sonne mein Grab bescheinen.“
„Es war gut, dich kennen zu lernen. Es war gut, dass du noch einmal hergekommen bist.
Ich möchte, dass du weißt: Ich hatte ein gutes Leben. Ich bin dem Schöpfer dankbar dafür. Und ich möchte, dass du mich als starken Mann in Erinnerung behältst. Nicht so, wie ich jetzt bin. Wenn du an mich denkst, dann denke an den starken Mann, der ich war.“
Tränen treten mir in die Augen. Er sieht mir direkt in die Augen.
„Keine Tränen. Sei wie ein Apache. Wir Apachen sind stark, wir weinen nicht. Bleibe stark. Keine Tränen.“
Er greift nach seinem Gehstock und legt ihn dann wieder zur Seite. Er will wohl nicht, dass ich sehe, wie er sich mühsam aus dem Sessel quält. Also greife ich nach meinem Rucksack und stehe auf, um mich zu verabschieden. Er ergreift meine Hände. „Du weißt, wir Apachen sagen nicht ‚Lebe wohl‘.“
Freddie Kaydahzinne starb am 2. Dezember 2020 im Alter von 71 Jahren.
Angelika Froech
* Ein Apache hatte früher mehrere Namen. Den einen „wahren“ Namen kannte nur der engere Kreis, er durfte nur bei besonderen Gelegenheiten ausgesprochen werden und nach dem Tode gar nicht mehr. Im Alltag wurden oft englische oder spanische „Spitznamen“ verwendet, wie z.B. „Chatto“ oder „Geronimo“, die uns heute überliefert sind. Als Geronimos „echter“ Name wird meist „Goyałe“ („ł“ wird ähnlich einem gelispelten „L“ ausgesprochen) genannt, das je nach Aussprache „der Gähnende“ oder „der Weise“ bedeutet. Aber ob das tatsächlich sein „wahrer“ Name war, ist anzuzweifeln.
** Eigenbezeichnung der Apachen ist je nach Apache-Nation bzw. -Dialekt Indeh, Ndé, Ndee, Nné, Nnee, Tindeh oder ähnlich, was alles mit „Volk“ oder „Menschen“ übersetzt wird. Die Herkunft der Bezeichnung „Apache“ ist unklar.
*** Für die Apachen zählten nur die Chokonende (Cochise-Gruppen) zu den Chiricahuas, deren Kern-Siedlungsgebiet im heutigen Südost-Arizona in und um den Chiricahua-Mountains lag. Es wird aber akzeptiert, dass in der Literatur die mit den Chokonende eng befreundeten und verwandtschaftlich verbundenen Chihende, Bedonkohe und Nednais dazu gezählt werden.
**** Apache-Art des Händegebens ist kein Drücken der Hand des anderen, sondern man legt die Hände nur leicht ineinander.
Links:
≫ Webseite des Mescalero Apache Tribe: https://mescaleroapachetribe.com
≫ Webseite Ski Apache: https://www.skiapache.com
≫ Webseite des Fort Sill Apache Tribe: https://fortsillapache-nsn.gov
≫ Webseite White Sands Monument: https://www.nps.gov/whsa/index.htm
Literatur:
Eve Ball: Indeh: An Apache Odyssey, University of Oklahoma Press 1988
Britton Davis: The Truth about Geronimo, BISON BOOKS 1976
Alicia Delgadillo: From Fort Marion to Fort Sill: A Documentary History of the Chiricahua Apache Prisoners of War, 1886-1913, University of Nebraska Press 2013