Am 13. September 2017 feiern die Vereinten Nationen – und mit ihnen etwa 370 Millionen indigene Menschen – das zehnjährige Bestehen der UNO Deklaration der Rechte der Indigenen Völker (UNDRIP). Ebenso jährt sich die Existenz des Staates Kanada zum 150. Mal und wird ausgiebig zelebriert. Grund bedenkenlos zu feiern? Mitnichten ….
Obwohl beide Ereignisse nicht direkt in Zusammenhang zu stehen scheinen, so gibt es doch zahlreiche Berührungspunkte, welche die Geburtstagsfeiern in den Schatten stellen. Das UNO Komitee zur Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD), welches ebenso im diesjährigen Sommer tagte, verurteilte Kanadas Menschenrechtspolitik hinsichtlich Indigener Völker scharf und forderte die Einhaltung der Deklaration.
Die außerordentliche Relevanz der UNDRIP besteht in ihren 46 Artikeln, welche maßgeblich von VertreterInnen Indigener Völker selbst formuliert wurden und deren Evolution unter vehementen Widerstand diverser Staaten, allen voran Kanada, Australien, Neuseeland, USA, über zwei Jahrzehnte andauerte – bis letztlich 2007 eine nicht unumstrittene Einigkeit erzielt werden konnte.
Der Inhalt bezieht sich auf die kollektiven kulturellen, sozialen und ökonomischen Rechte indigener Völker-Rechte, welche sie als Gemeinschaften von der Mehrheitsgesellschaft innerhalb jeweiliger Staaten unterscheidet. Der wohl fundamentale Grundstein der Deklaration ist Artikel 3: das Recht auf Selbstbestimmung, wesentliches Element des Völkerrechts und allen anerkannten Nationen inhärent. Die Effektivität der übrigen Artikel der UNDRIP beruht letztlich auf diesem Fundament, daß die Souveränität der indigenen Völker und folglich auch ihre eigenständige Kontrolle wie auch selbstbestimmte Entwicklung manifestiert. Zugleich Grundstein und Stein des Anstoßes sollte sich Artikel 3 hauptsächlich für die überaus lange Dauer der Fertigstellung und Verabschiedung der UNDRIP zeigen:
Als sich vor 40 Jahren, 1977, im Zuge von Bürgerrechtsbewegungen und anti-kolonialistischer Prozesse RepräsentantInnen von über hundert verschiedenen indigenen Nationen gemeinsam mit nicht indigenen NGOs und VertreterInnen zahlreicher UN Mitgliedsstaaten innerhalb der UNO in Genf zusammenfanden, wurden alsbald die Eckpfeiler für die Deklaration gegründet. Aufgrund der gemeinsamen Erfahrung der massiven kolonialen Repression stand die Dekolonialisierung und Revitalisierung der eigenen Identität im Mittelpunkt der Forderungen. Das Recht auf Selbstbestimmung sollte daher auch das Herzstück der Deklaration werden. Trotz der in dieser Periode stattfindenden Dekolonialisierungs-Prozesse stießen die indigenen Völker auf heftigen Widerstand der Kolonialmächte, welche ihnen auch innerhalb der UNO den Zugang zu Dekolonialisierungs-Mechanismen verwehrten. Daher wandten sie sich an die UN Menschenrechts-Gremien um alsbald innerhalb der damalig größten Arbeitsgruppe der UNO ihre Rechte auf internationalem Terrain in Form einer Menschenrechtsdeklaration für indigene Völker festzuschreiben. Obwohl massive Blockaden andauerten, konnte 1994 der erste und einzige auf Einigkeit beruhende Deklarations-Entwurf der UN Menschenrechtskommission vorgelegt werden.
Als Vorlage für diesen Deklarations-Entwurf galten 22 Prinzipien, welche bereits zwischen 1977 und 1985 ausschließlich von VertreterInnen indigener Völker erarbeitet wurden. Wenn auch im Vergleich zu den originären Forderungen etwas entschärft, implizierten die 45 Artikel dieses Entwurfs dennoch die zentralen Anliegen der indigenen Völker: Die Kontrolle über ihre Länder, Territorien und Ressourcen, kollektive Eigentumsrechte, diverse kulturelle Rechte, Das Recht auf die „vorherige, informierte, freie Zustimmung“ (FPIC) und insbesondere das erwähnte Recht auf Selbstbestimmung – das Recht auf eine eigene kollektive Identität im Sinne des Völkerrechts.
Obwohl bereits von zwei Sub-Gremien abgesegnet, scheiterte der Entwurf vor der UN Menschenrechtskommission aufgrund massiver Gegenwehr genannter Staaten. Eine zweite, eigens kreierte Arbeitsgruppe, welche wesentlich stärkerer Einflussnahme durch die Mitgliedsstaaten unterworfen war, sollte fortan die Aufgabe der Entwicklung einer UN Deklaration der Rechte Indigener „Populationen“ – so der damalige Wortlaut – übernehmen.
Für viele indigene RepräsentantInnen war diese Entwicklung ein Affront und bestätigte lediglich die fortwährende koloniale Unterdrückung. Sie verweigerten die Partizipation an diesem von Staaten dominierten Prozess und wandten sich ab.
Nach weiteren 13 Jahren einigte sich indes die Mehrheit der verbliebenen Akteure, die UN Deklaration der Rechte der indigenen Völker konnte 2007 – trotz anhaltendem Widerstand Kanadas, Australiens, Neuseelands und der USA – verabschiedet werden. Allerdings nicht ohne Verluste. Der ursprüngliche Entwurfstext war zusehends weiter abgeschwächt worden, des weiteren brachte ein neu hinzugefügter Artikel – Artikel 46 – den Sinn der Deklaration bis heute ins Wanken: Dieser bekräftigt die territoriale Integrität der (Kolonial-)Staaten und kann daher als Beschneidung des Selbstbestimmungsrechts und folglich der Dekolonialisierung der indigenen Völker interpretiert werden.
Dennoch verkörpert die UNDRIP kollektive indigene Rechte wie kein anderes internationales Instrument und stellt als solches einen Minimalstandard und Referenzrahmen dar, der seinesgleichen suchen lässt.
Besorgniserregend ist jedoch, dass sich ungeachtet dessen die Implementierung der Deklaration weiterhin als äußerst problematisch erweist. Haben zwar nun auch die bis zuletzt protestierenden Staaten aufgrund von internationalem Druck die UNDRIP offiziell anerkannt, so versuchen selbige nun das Instrument nach Belieben zu verfälschen und an ihre fortwährenden kolonial-nationalen Strukturen anzugleichen.
Beim UN Permanent Forum on Indigenous Issues 2016 verkündete beispielsweise die kanadische Ministerin für indigene Angelegenheiten Carolyn Bennett „die volle Unterstützung und Implementierung der UNDRIP ohne Abänderungen und in Kohärenz mit der kanadischen Verfassung“. Ein Widerspruch in sich da eben diese Angleichung mit der kanadischen Verfassung eine Unterwerfung des internationalen Rechts durch nationales Recht bedeutet.
Des weiteren interpretiert Kanada das in der UNDRIP verankerte Recht auf vorherige, informierte, freie Zustimmung (FPIC) lediglich als Konsultationspflicht und vermindert daher dessen originäre Relevanz als entscheidungsabhängige Einholung der Zustimmung seitens indigener Völker bezüglich sie betreffender Angelegenheiten.
Diese Umstände entsprechen nach wie vor demselben kolonialen Muster wie zu Zeiten der Evolution der UNDRIP: Kanada verweigert den indigenen Völkern das Recht auf selbstbestimmte Entwicklung wie auch bezüglich maßgeblicher, sie betreffender Entscheidungen.
Diese Diskriminierung zeigt sich am deutlichsten bei der Ausbeutung von Ressourcen auf traditionell indigenen Territorien. Land- und Eigentumsrechte der indigenen Völker werden missachtet und deren Territorien ohne Rücksicht geplündert. Oftmals mit verheerenden Folgen für die indigenen Völker. Kahlschlag, die Verseuchung der Gewässer durch Rückstände aus Fischfarmen, Uranabbau, Teersandgewinnung, Pipelines samt einher gehender Unfälle – sie allesamt stehen in eklatantem Widerspruch zur UN-Deklaration.
Die indigenen Völker (3,8% der gesamten kanadischen Bevölkerung) verfügen lediglich über 0,2% des Landes, das sie ursprünglich zur Gänze kontrollierten. Eine wirtschaftliche Entwicklung ist folglich kaum möglich und wird, wie erwähnt, zudem durch Regierung und Konzerne verhindert. Kanada missachtet sogar Entscheidungen seines Obersten Gerichtshofs, der die (Land-)Rechte der indigenen Völker wiederholt bestätigt hat.
Ebenso bestätigt das UNO Komitee zur Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) bei seiner diesjährigen Analyse Kanadas zum wiederholten Male eindeutige Verstöße gegen die verbindliche Anti-Rassismus Konvention und rügt Kanada ungewöhnlich scharf: Die ungenügende oder gar ausbleibende Anwendung von FPIC insbesondere in Landrechtsfragen und Ressourcenausbeutung wird vom Komitee speziell hervorgehoben. Jegliche destruktive Prozesse müssen demnach unterlassen und Umweltverträglichkeitsprüfungen seitens indigener Völker gewährt werden. Das CERD Komitee verpflichtet Kanada, FPIC in sein regulatives System zu integrieren. Explizit wird diesbezüglich auch auf groß angelegte Projekte verwiesen und im Zuge dessen das Mount Polley Bergbau Desaster und das geplante Staudamm Projekt „Site C Dam“ aufgrund von fehlendem FPIC und resultierender Schäden, verdammt. Die negative Rolle transnationaler Konzerne bleibt folglich nicht unerwähnt. Weiters verweist das Komitee auch auf völkerrechtliche Vertragsbrüche seitens Kanadas und seinen Provinzen gegenüber indigener Völker.
Aber nicht nur in Ressourcen- und Landrechtsfragen rügt das CERD Komitee Kanada, beschämende Verletzungen indigener Menschenrechte in sozialen Bereichen werden auch bekundet: Hierbei wird auf massive Unterschiede im Zugang zum Bildungswesen, medizinischer Versorgung, Arbeitsplätzen und auf eine überproportionale Zahl an inhaftierten indigenen Häftlingen verwiesen. Ganz zu schweigen von der anhaltenden Diskriminierung, dem Rassismus und der Gewalt an indigenen Frauen. Kanada hat sich einen traurigen Spitzenplatz in der Gewalt an indigenen Frauen erobert, viele Fälle sind bis dato ungeklärt geblieben.
Kanada rühmt sich ein Vorreiter der Menschenrechte zu sein. Der junge Trudeau versucht zwanghaft der ebenso jungen kanadischen Nation ein positives, modernes Image zu verleihen. Angesichts dieser Fakten bleibt die Geburtstagstorte jedoch wohl eher im Halse stecken. Kanada blickt auf 150 Jahre koloniale Geschichte zurück und kann – wie das CERD Komitee offenlegt – bis heute diesen Umstand nicht verbergen. Vielmehr verweigert Kanada den Indigenen Völkern ihre angestammten kollektiven Rechte – allen voran das in der UNDRIP festgeschriebene Recht auf Selbstbestimmung. Die Indigenen Völker werden nicht als gleichwertige Partner – wie etwa aufgrund Abhängigkeiten während der ersten Kontaktaufnahme – behandelt sondern de facto als unliebsame Minderheiten abgetan, die es nach wie vor zu dominieren und auszubeuten gilt.
Trotzdem die 2007 verabschiedete UNDRIP die Handschrift der Kolonialmächte partiell in sich trägt, wäre Kanada gut beraten, seine Politik als Mindeststandard an dieses beispiellose Instrument des internationalen Rechts anzugleichen. Dies wäre ein erster Schritt, um wahrhaftige
Dekolonialisierungs-Prozesse einzuleiten, Unrecht zu revidieren und partnerschaftliche Beziehungen mit den zahlreichen indigenen Nationen Nordamerikas einzugehen.
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