September 5, 2020

Die Washington Redskins in guter Gesellschaft – Gedanken zu systemischem Rassismus und Symbolik

Ein Wörterbuch erweitert den Begriff "Rassismus"

Das bekannte amerikanische Wörterbuch „Merriam-Webster“ konnte letzten Monat mit einer Sensation aufwarten. Die Ereignisse in Minneapolis am 25. Mai und die sich rasend schnell verbreitenden Proteste in den USA gegen Rassismus lenkten die Aufmerksamkeit vieler Menschen verstärkt auf sichtbar werdenden Alltagsrassismus im Land. 

Im Licht dieser Ereignisse fühlte sich ein junger Leser gedrängt, an den Wörterbuch-Verlag heranzutreten, um aufzuzeigen, dass die bestehende Definition von „Rassismus“ nicht den systemischen Aspekt dieses Konzepts abdeckt. Der Verlag antwortete, dass dieser Aspekt zwar aus der aktuellen Definition abgeleitet werden könne, erklärte sich jedoch dennoch dazu bereit, den Eintrag stärker zu präzisieren und damit auch zu verändern.

Systemischer Rassismus aus anthropologischer Sicht

In diesem Artikel werde ich die  Beziehung zwischen Rassismus und Symbolik näher beleuchten. Ich denke, dass die inhärent rassistische Symbolik, der wir überall im Alltag begegnen, nicht nur Teil systemischen Rassismusses ist, sondern auch eine gefährliche Verbindung an sich repräsentiert. Mit rassistisch aufgeladener Symbolik sind wir häufig unbewusst in Kontakt und nehmen dies meist als alltäglichen Bestandteil unserer Umwelt hin. Dies passiert nicht aus Böswilligkeit, sondern weil diese Symboliken und Bilder tief in unserer Gesellschaft verwurzelt sind und als tradiert und allgemein akzeptiert angesehen werden. 

Es stellt sich die Frage, wie man diese gesellschaftlich verwurzelten Konzepte aus einer anthropologischen Perspektive analysieren könnte. Und tatsächlich gibt es hier verschiedene Möglichkeiten.

Die Anthropologie selbst gibt uns die Chance, unsere Perspektive zu wechseln und in Konsequenz - wie Forschende dies tun - Handlungen und Gewohnheiten unseres Lebens zu hinterfragen.

Die "Washington Redskins" ändern Namen und Logo

Gerade in den USA findet man viele Beispiele und Statistiken, die den weitverbreiteten Rassismus illustrieren. Hier möchte ich mich einem Bereich widmen, über den in letzter Zeit vermehrt berichtet wurde der mir selbst sehr am Herzen liegt: dem Sport. Genauer gesagt, das Problem rund um die (nun ehemaligen) „Washington Redskins“.

Die National Football League (NFL) der USA gab bekannt, dass das Team aus Washington seinen Namen ändern wird, pikanterweise erst auf den Protest vieler Akteure hin, von denen einige immerhin auch offizielle Sponsoren des Teams sind. Sie identifizierten die Beschreibung „Redskins“ ("Rothaut") als beleidigend und rassistisch. Weiters, so verkündete der Vorstand des Teams, werde das offizielle Logo der Mannschaft, welches zurzeit einen Indigenen im Profil mit zwei Federn als Kopfschmuck zeigt, ebenfalls geändert. 

Interessanterweise ist diese Diskussion schon erstaunlich alt. Erst 1987 nahm das Football-Team den unsensiblen Namen „Washington Redskins“ an, und seit Jahrzehnten setzen sich nun bereits indigene Gruppen von Aktivisten für eine Namensänderung ein. Jedes Mal wurden sie schlicht ignoriert und von der Presse kaum rezipiert. Die Forderung konnte damit keine mediale Aufmerksamkeit erfahren. Die Veränderung, die jetzt im Sport stattfindet, ist daher sicher auch ein Erfolg der aktuellen Proteste quer durch das ganze Land, welche dazu beitragen, dass tradierte oder gewohnte Symbole des amerikanischen Alltaglebens plötzlich in Frage gestellt werden. 

Symbole - Ausdruck einer Vereinfachung und Reduktion

Kehren wir nun zu den zwei anfänglich aufgeworfenen Konzepten des systemischen Rassismus und der Symbolik zurück.

In der Betrachtung des Symbols an sich können wir, frei nach Ferdinand de Saussure, von der Grundannahme ausgehen, dass es immer den Ausdruck einer Vereinfachung oder Reduktion der inhärenten Bedeutung zur elementarsten Form darstellt. Oft wird dieser Prozess durch eine Essentialisierung eines ganzen Konzepts oder auch nur eines speziellen Aspekts erreicht. 

Symbolkraft von Monumenten

Dies wird deutlich, wenn wir beispielsweise an die Symbolkraft denken, die eine Statue oder ein Monument entwickeln können. Die systemische Seite von rassistischer Diskriminierung nun, ist eine sehr subtile, da sie sich häufig hinter Symboliken verbirgt, die eng verknüpft sind mit der Repräsentation von Normen und Machtbeziehungen, die mit der gelebten Gesellschaftsordnung übereinstimmen und sie als natürlich gegeben hinnehmen. Sie werden praktisch a priori akzeptiert.

Verdeutlich werden kann das anhand der verschiedenen Deutungen, die einer Statue von Christoph Columbus zukommen. Für einen indigenen Amerikaner wird sie ein Symbol der Kolonialisierung sein, während sie für einen nicht-indigenen amerikanischen Bürger das Monument eines Helden und Pioniers ist. Hier stellt sich die Frage: Welche Meinung wird im gesellschaftlichen Diskus wohl eher rezipiert?

Gesellschaftlich akzeptierte Symbolik und Deutungshegemonie

Kommt es nun zur Infragestellung der akzeptierten Symbolik und ihrer Deutung, befördert dies eine Reaktion, die deutlich oberflächlich ist, indem sie implizit jeden Versuch einer weiteren Klärung zurückweist. Der Denkansatz, nach dem die Symboliken dieser Welt beurteilt werden, wird von der Mehrheitsbevölkerung definiert, die damit de facto eine Deutungshegemonie auf die soziale Realität beansprucht. Meinungen und Bedürfnisse abseits der Hegemonie werden damit kaum wahrgenommen, da sie überhaupt nur schwer denkbar sind und möglicherweise die Gesellschaftsordnung angreifen würden. 

Unsere Deutungen der Welt jedoch sind immer in einen sozialen Kontext eingebunden. Ich möchte daher an dieser Stelle den US-amerikanischen Anthropologen Clifford Geertz zitieren, der sich hauptsächlich mit „interpretativer Anthropologie“ beschäftigte. Er sagt sinngemäß:

Bedeutung ist nicht intrinsisch in Objekten, Handlungen, Prozessen usw. enthalten, die diese tragen, sondern, wie Durkheim, Weber und andere betont haben, wird ihnen diese zugeschrieben.
Die Erklärung ihrer Eigenschaften und Bedeutungen muss daher beim Zuschreibenden gesucht werden – dem Menschen in der Gesellschaft.“ (Geertz 1973: 405)

Angewandt auf unseren Fall wird klar, dass es unmöglich und auch falsch wäre, die systemische Komponente des Rassismus zu analysieren, ohne den Kontext der gesellschaftlichen Umgebung miteinzubeziehen, die in den letzten Jahren verstärkt gekennzeichnet ist durch eine nationalistische Politik und offene Diskriminierung gegenüber Minderheiten und Indigenen im Speziellen. 

Kulturelle Aneignung im Sport

Auf Basis der genannten Gesichtspunkte kann nun festgestellt werden, dass die kulturelle Aneignung des Football Teams in Washington rassistisch war, indem sie abwertende und reduzierende Klischees benutzten und den betroffenen Gruppen den Diskurs verweigerten.

Im Kontext des Sports zeigt diese Aneignung noch eine weitere Problematik auf: Die Verfestigung von Stereotypen über ethnische Minderheiten, die klarerweise eine Fehldarstellung derselben zur Folge haben müssen.

Das hier bemühte Klischee ist das des „Blutrünstigen Wilden“, das, wie von vielen Experten bestätigt, erstaunlich häufig in Verbindung mit indigenen Völkern in der Sportwelt wiederkehrt („Cleveland Indians“, „Atlanta Braves“, „Kansas City Chiefs“ sind nur einige populäre Teams). Was jedoch noch um einiges bedeutsamer ist, - hier knüpfen wir an die Interpretation von Symbolik an – ist die Erklärung des Football Teams zur Wahl ihres Namens. Das Team behauptete, ihr Name wäre im Gegenteil ein Tribut an die indigene Bevölkerung, für ihren Mut und ihre Ehre. Das Symbol des „blutrünstigen Wilden“ wird mit heroischen Nomen beschmückt und betreibt dabei die Entmenschlichung und Verhöhnung einer Bevölkerungsgruppe. In meinen Augen ein Paradoxon - wäre es wohl gleichzusetzen damit einen Afroamerikaner „Nig*er“ zu nennen und zu behaupten, es wäre wertschätzend gegenüber seiner Hauptfarbe gemeint. Stattdessen ist es schlicht ignorant und respektlos. 

Obwohl ich gerne glauben möchte, dass die Erklärung des Teams zur Namenswahl einfach nur ein ungeschickter Versuch war, das eigene Image zu retten (was trotzdem keine Rechtfertigung wäre), ist es dennoch wichtig, diese Episode in ihren größeren nationalen Kontext zu setzen, in dem Essentialismus, Stereotypisierung und Rassismus gang und gäbe sind, oft genug unerkannt.

Rassistische Symbolik ist Teil des Alltagserlebens

Ich denke es wird klar, dass der öffentliche Umgang mit rassistischer Symbolik falsch und eher dazu geeignet ist, systemischen Rassismus zu bekräftigen und aufrechtzuerhalten.
Hierzu möchte ich gerne noch einige Beispiele aus der Pop-Kultur des US-amerikanischen Raums anführen und eine aus dem  europäischen Raum, die zum Nachdenken anregen sollen:

  • Land O’Lakes Butter“, auf dieser Butter war jahrzehntelang eine indigene Frau abgebildet. Das Logo wurde 1928 eingeführt und erst im Februar dieses Jahres geändert. Das Unternehmen schwieg darüber, ob die Gründe dafür die offensichtlich kulturelle Aneignung oder Falschdarstellung sein könnten.
  • Sauvage Perfum“, von Dior aus 2019 wurde mit einem Clip mit dem Schauspieler Johnny Depp und einem tanzenden Indigenen im Hintergrund beworben. Als Folge der US-weiten Proteste wurde die Werbung von Dior entfernt. 
  • Die Disney-Filme „Pocahontas“ und „Peter Pan“ sind ebenfalls deutliche Beispiele für die stereotype Falschdarstellung von indigenen Völkern.
  • Im deutschsprachigen Raum sicher leidvoll bekannt sind die Werke von Karl May, die der deutschen Leserschaft seit Jahrzehnten den vorurteilsfreien Blick auf eine Bevölkerungsgruppe verstellen.
  • Ein weiteres Erbe des oben genannten Vielschreibers ist der Spruch „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ mit dem ein amerikanisches Pharmaunternehmen bei der Bewerbung einer Muskelsalbe immerhin noch 2009 einen deutschen Werbepreis erlangen konnte.

Nach dieser Aufzählung möchte  mit den Worten von Hanay Geogamah schließen. Er ist Professor an der Universität von Kalifornien, Historiker, Bühnenautor und Mitglied des Volkes der Kiowa. In einem Interview mit der Washington Post zum „Sauvage“-Duft von Dior sagte er: „Was mich zornig macht ist, dass sie sich leichtfertig Symbole aneignen und sie zusammenmischen für ihre eigenen Zwecke.“


Über den Autor:

Francesco Cricchio studierte Anthropologie in Bologna, Wien und Irland. Seit seiner Wiener Studienzeit ist er Mitglied des Menschenrechtsvereins Indianer Nordamerikas. Er lernte den  Verein über den Poeten Lance Henson (Cheyenne) kennen, mit dem er seit seiner Bachelor-Arbeit in Kontakt war. Francesco legt den Schwerpunkt seiner Arbeiten auf Themen der indigenen Bevölkerung Nord- und Südamerikas und ihrem Recht auf Selbstbestimmung.