Caroline Weldon bricht 1889 in den „Wilden Westen“ auf, um Sitting Bull zu malen. Diese Geschichte klingt nach einem guten Stoff für Hollywood - sie ist jedoch tatsächlich passiert.
Eine Story wie gemacht für Hollywood: Die Frau, die voraus geht
Die Frau hieß Caroline Weldon. Geboren 1844 in Kleinbasel in der Schweiz, aufgewachsen in New York, Heirat mit 21. Sie verließ ihren Mann. Aus einer Affäre entstand ein Kind - ein Sohn, den sie Christie nannte. Die Scheidung folgte, als sie 38 Jahre alt war.
Sie interessierte sich für das Schicksal der nordamerikanischen Indianer und wurde Mitglied der National Indian Defense Association (NIDA).
Als ihre Mutter starb, erbte sie ein Vermögen. Sie legte sich den Künstlernamen Catherine Weldon zu, gab sich als Witwe aus und erfüllte sich im Juni 1889 einen Traum: Eine Reise zu den Lakotas, um bei ihnen zu leben und Sitting Bull zu malen. Sie freundete sich mit ihm an. Er war damals Ende Fümzig. Er war ein geachteter Heiliger Mann, dessen Wort besonderes Gewicht hatte. Er gab ihr den Namen "Die Frau, die voraus geht".
Caroline trat aktiv für die Rechte der Ureinwohner ein und legte sich regelmäßig mit James McLaughlin, dem Leiter der Standing Rock Agency, an.
Sie sei gutaussehend und stets modisch gekleidet gewesen. In den Medien wurde sie „Sitting Bulls weiße Squaw“ genannt und lächerlich gemacht. Tatsächlich war sie Sitting Bulls Vertraute, seine Sekretärin und seine rechtliche Beraterin. Er soll ihr einen Heiratsantrag gemacht haben, den sie entrüstet ablehnte.
Filmtrailer Woman walks ahead, englisch (Weiterleitung zu YouTube)
Der lange Weg vom Drehbuch zum Film
Steven Knight verfasste aus diesem Stoff vor 16 Jahren ein Drehbuch. Das niemand verfilmen wollte. Dann kam 2016 die englische Filmemacherin Susanna White und fand Investoren - nicht zuletzt sicherlich auch deshalb, weil sie Jessica Chastain für die Hauptrolle und Sam Rockwell für die Rolle des Fieslings Colonel Silas Groves gewinnen konnte. Jessica Chastain ist derzeit eine der gefragesten Schauspielerinnen Hollywoods. Sam Rockwell ist frischgebackener Oscar-Preisträger. Der kanadische Schauspieler, Choreograf und Professor Michael Greyeyes (Nehiyaw / Cree) spielt Sitting Bull.
Im Film heißt Caroline Catherine, sie ist kinderlose Witwe und wird erst im Laufe der Story zur Unterstützerin der Ureinwohner.
Beide - die Malerin und der Häuptling - sind um einige Jahre jünger dargestellt, als es die tatsächlichen Personen waren.
Die beiden Außenseiter der damaligen „zivilisierten“ Gesellschaft - eine Frau, die sich nicht um die Zwänge einer von weißen Männern bestimmten Gesellschaft schert und der Häuptling, der als Ureinwohner praktisch keine Rechte hat und allen Weißen misstraut - nähern sich aneinander an und gewinnen langsam an Vertrauen zueinander. Währenddessen werden die Rationen an die Reservationsbewohner halbiert, die Soldaten rücken unter General Crook an und die Ureinwohner tanzen den "Geistertanz", um die alten Zeiten heraufzubeschwören.
Ein Western - oder doch nicht
Ungewöhnlich für einen „Western“: Die Begebenheit wird aus Sicht einer Frau erzählt. Ungewöhnlich ist auch der Erzählstil - mit ruhig dahingleitendem Tempo, nur wenig Musikuntermalung, mit Humor gespickt. Es wird weit weniger Gewalt gezeigt, als sonst in diesem Genre üblich.
Der Humor verhindert, dass die tragische Geschichte allzu pathetisch wirkt. So reagiert Sitting Bull bei der ersten Begegnung, nachdem sie ihm in blumigen Worten über ihre „lange Reise von vielen Meilen, bei der sie viele Flüsse und Hügel überquert hatte für die Ehre, mit ihm zu sprechen“ trocken mit der Frage: „Also haben Sie den Zug von New York genommen?“
Das ruhige Erzähltempo lässt umso mehr die unfassbaren Gräuel hervortreten. So zum Beispiel, als Catherine Sitting Bull fragt, ob die Hügel den ganzen Sommer über Schnee tragen und er ihr antwortet, dass dies kein Schnee sei, sondern die Knochen der Büffel, die von den Weißen getötet worden waren. Die Bisons - die nordamerikanischen Büffel - waren die Lebensgrundlage der Sioux-Nationen. Sie wurden mit der Beinahe-Ausrottung der Bisons von den Lieferungen der staatlichen Stellen an Lebensmitteln und Gütern abhängig gemacht.
Eindrucksvolles Schauspiel, viel Gefühl, schöne Bilder
Jessica Chastain ist als Catherine Weldon wie immer überzeugend in ihrer Rolle - hier als starke und dennoch zerbrechliche sensible Frau, die naiv aus New York aufbricht um einen Häuptling zu malen und die aktive Unterstützerin eines unterdrückten Volkes wird. Eine Frau, die Konventionen bricht und ihrer Zeit weit voraus ist.
Sam Rockwell ist der verbitterte Indianerkämpfer, der am Ende auch andere Seiten seiner Persönlichkeit zeigt.
Michael Greyeyes (Nêhiyaw / Cree) des fesselt mit seinem eindrucksvollem und ausdrucksstarken Schauspiel und gibt den gebrochenen Helden, der seine Würde nicht verloren hat und zum Ende seines Lebens noch einmal bereit ist, aufzustehen und das Unmögliche zu wagen.
Michael Greyeyes über die „Rolle seines Lebens“ (Weiterleitung zu YouTube)
Hier Stimmen von Kritikern:
Mr. Greyeyes ist ein Wunder an Intelligenz und Würde“
(Jeannette Catsoulis / New York Times)
„Greyeyes gibt die subtilere, gefühlvollere und glaubwürdigere Performance“
(Susan Wloszczyna / RogerEbert.com)
"... zieht dich mit seinem schlauen Witz und seiner stillen Anziehungskraft in seinen Bann. Er macht Sitting Bull zu einer faszinierend konfliktreichen Figur ..."
(Justin Chang, Los Angeles Times)
Atemberaubend schöne Landschaftsbilder - eingefangen an den Drehorten in New Mexiko - werden Teil der Erzählung. So ist in einer Szene, in der Sitting Bull und Catherine in der Prärie die Pferde anhalten, ein Gewitter im Hintergrund zu sehen. In dieser Szene sagt er ihr, dass er bald sterben wird.
Standing Rock nach über 120 Jahren - es ist noch nicht vorbei
Der Flecken Erde, in dem sich die Story des Films abspielt, ist die Standing Rock Reservation in North Dakota und South Dakota.
Die Filmemacher besuchten den Stammesrat („Tribal Council“) in Standing Rock, stellten den geplanten Film vor, um sich die Zustimmung zur Verfilmung des Stoffes zu holen und ließen sich dabei beraten.
Im Film steht die drohende Umsetzung des „General Allotment Act“ bevor - jenes Gesetz, das den Landraub legalisieren sollte, um einen großen Teil des Landes der Sioux für weiße Siedler freizugeben.
Während der Dreharbeiten bildete sich In Standing Rock 2016 der größte indianische Widerstand seit den 1960iger Jahren: NODAPL, der Kampf gegen die Dakota Access Pipeline. Das Ziel dieser Bewegung war der Versuch, den Bau dieser Pipeline zu verhindern, die den Missouri River queren sollte und die bei einem Leck die Wasserversorgung des Reservats bedrohte.
Vor 120 Jahren wurden Männer, Frauen und Kinder umgebracht, die sich den Anordnungen der Regierung widersetzten. Heute werden sie als Terroristen bezeichnet, von Söldnern mit „Nicht-Lethalen“ Waffen beschossen und eingesperrt. Nach 120 Jahren ist noch immer dasselbe Thema aktuell: Kampf um das Recht auf Eigenbestimmung, um das Recht auf das Land und die Ressourcen.
„Geschichte ist es erst, wenn es vorüber ist“, sagt Colonel Groves so treffend im Film
Caroline Weldon - Das tragische Ende der wahren Geschichte
Im Spätsommer 1890 war die Ghost-Dance-Bewegung in Standing Rock auf ihrem Höhepunkt. Caroline warnte Sitting Bull eindringlich, dass dies zu einem neuerlichen Krieg führen könnte. Die Debatte entzweite Caroline und Sitting Bull. Zudem erkrankte im November 1890 Carolines Sohn und sie verließ mit ihm das Reservat. Bald darauf starb Christie an einer Sepsis.
Im Dezember desselben Jahres wurde Sitting Bull bei seiner Verhaftung erschossen. Seine Leute flohen in die Berge der Bad Lands. Sie wurden zwei Wochen lang von den Soldaten gejagt und dann niedergeschossen - über 300 Männer, Frauen und Kinder. Dies ging als das „Massaker von Wounded Knee“ in die Geschichte ein.
Vor dem Abspann des Films wird das Massaker erwähnt und man sieht die Originalfotos am Tag danach. Die Soldaten posieren für die Fotos - sie sind sich keiner Schuld bewusst.
Caroline Weldon starb alleine und vergessen 1921 in New York. Zwei der vier Ölgemälde, die sie von Sitting Bull malte, blieben erhalten.
Empfehlung: Hingehen, Ansehen!
Diese vielschichtige Geschichte war nicht leicht umzusetzen. Es gibt politische Botschaften - über die Rechte der Frauen und die Rechte der amerikanischen nativen Bevölkerung. Neben der tragischen Geschichte der (teilweise) historischen Caroline/Catherine Weldon, Sitting Bull und seines Volkes erzählt er vom Genozid, der in verschiedensten Ausprägungen an der amerikanischen Urbevölkerung statt fand.
An den Nachwirkungen und den noch immer stattfindenden Diskriminierungen haben die Nachkommen Sitting Bulls noch heute zu leiden.
Es ist ein „weiblicher Western“ mit schönen Bildern, schönen Hauptdarstellern, viel Gefühl, komischen Momenten, Tragik und einem Schuss Romantik. In der englischen Originalfassung kommen die Protagonisten durch ihre eigenen Stimmen authentischer und glaubhafter zur Geltung.
Der Film wird all jenen nicht gefallen, die „typische Western“ lieben mit „Cowboys und Indianern“, Gemetzel und Kampf, „Gut gegen Böse“.
Meine klare Empfehlung: Hingehen, Ansehen - bevorzugt in der Originalversion!
Angelika Froech
Informationen zum Film
Originaltitel:
Woman Walks Ahead (USA, 2017)
Filmtitel, deutsch:
Die Frau, die voraus geht
Regie:
Susanna White
Drehbuch:
Steven Knight
Schauspieler:
Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Sam Rockwell, Chaske Spencer, David Midthunder
Sprache:
deutsch (im Original englisch), Lakota
101 Minuten, ab 12 Jahren
Weiterführende Informationen zu Wounded Knee, Standing Rock
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