März 16, 2011

OKLAHOMA – Vielvölkerstaat indianischer Nationen

von Mike Austin

Geographie, Demographie und Wirtschaft

Karte vom US-Bundesstaat Oklahoma
Karte vom US-Bundesstaat Oklahoma

Oklahoma liegt mit einer Fläche von 180 000 km2 am südlichen Rand der Großen Prärien des nordamerikanischen Mittelwestens, nur das östliche Drittel besteht aus Hügelland mit Wäldern und ausreichenden natürlichen Wasservorkommen. Die Hauptwirtschaftszweige sind Rinderzucht, Weizenanbau, Öl- und Rüstungsindustrie. Autonomes Indianerland nimmt ungefähr zwei Drittel des Bundesstaates ein.

Besonders charakteristisch ist die leuchtend rote Farbe der Erde. Die indianische Bevölkerung führt dies metaphorisch auf das Blut ihrer Vorfahren zurück, die durch den amerikanischen Völkermord an ihnen umgekommen sind. “Rose Rock”, die roten Baritsteine, die wie feinziselierte Rosen aussehen und weltweit nur hier und in der Mongolei zu finden sind, werden als versteinerte Tränen angesehen. Der Name “Oklahoma” kommt aus der Muskogean-Sprache der Choctaw und bedeutet wörtlich “Rote Menschen”. Rot symbolisiert in den philosophischen Weltanschauungen vieler Urvölker Amerikas Blut und Erde.

Oklahoma hat insgesamt 3,5 Millionen Einwohner und weist laut letzter US-Volkszählung (2000) mit 650 000 die höchste indianische Bevölkerungsdichte eines Bundesstaates auf. Gleichzeitig ist dieser Bundesstaat jener mit der größten Zahl verschiedener indigener Völker, die in einer einzigen Region in Nordamerika leben. Sie repräsentieren 15% aller überlebenden Menschen indianischer Nationen, die heute in den USA beheimatet sind. Die Wirtschaft dieser indigenen Nationen hat einen wesentlichen Einfluss in dieser Region und trägt jährlich über 7,8 Mrd. US-$ zur Ökonomie Oklahomas bei. Wegen der hohen Dichte der indigenen Völker unterhält das BIA zwei Regionalbüros, eines in Muskogee im Osten des Staates, ein anderes in Anadarko im Westen. Das kleinste Volk sind die Modoc, 200, das größte die Cherokee mit 280 000 BürgerInnen.

Jede der 39 Indianernationen in Oklahoma hat ihre eigene Kultur, Tradition, Geschichte und Sprache. Diese Nationen und ihre Völker verfolgen eine Vielfalt an unterschiedlichen Strategien, um die grundlegenden Elemente ihrer Kulturen für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Außenstehende können oft nicht die Wichtigkeit kultureller Ausprägungen in ihrer Gesamtheit begreifen, wie diese mit dem täglichen Leben der Menschen, ihrer Spiritualität und Ordnung in Zusammenhang stehen. Der Erhalt dieser Kulturen wird oftmals als Widerspruch zu einem „sinnvollen“ Fortschritt nach den modernen Anforderungen des 21. Jahrhunderts gesehen. Jedoch zeigt sich, dass die vielen Kulturen Oklahomas tatsächlich die Grundlagen bilden, woraus sich alle Dinge – auch moderne – entwickeln. Es sind die jeweiligen Kulturen, die die indigenen Bevölkerungen bestärken, dass sie in beiden Welten gehen müssen, um erfolgreich weiterbestehen zu können. Mit dieser Strategie bewältigen viele Völker Oklahomas geschickt eine ökonomische Weiterentwicklung, um ernstzunehmende Spieler in der US-Wirtschaft zu sein und so ihre ureigenen Plätze für Zukunftsgenerationen zu sichern.
Oklahoma ist vergleichbar mit einem bunten Gobelin, zusammengenäht aus den vielen Völkern, die hierher gebracht worden sind. Jeder Faden ist umflossen von ihren Energien und die Flickwerke sind von ihrem Geist durchdrungen. Die Stärke Oklahomas liegt in der Einzigartigkeit jedes dieser Völker, und diese Einzigartigkeit drückt sich in jedem ihrer Menschen aus, die hier um den Fortbestand ihres Volkes bemüht sind.

Geschichtlicher Abriss

Die Ankunft der EuropäerInnen und ihre konsequenten Kolonisierungsbestrebungen lösten in der Welt der Ersten Völker Amerikas bis dahin unvorstellbare Folgen aus. Aus dem US-amerikanischen Unabhängigkeitskrieg geboren, wurden 1776 die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) vorwiegend von englischen und deutschen KolonistInnen an der Ostküste Nordamerikas errichtet. Schon bald stießen die folgenden Einwanderungswellen an die Grenzen der Kolonien, und der Druck auf die Völker und ihr Land westlich der Appalachen-Berge stieg an. Gleichzeitig entstand das Konzept der sogenannten “Manifest Destiny”, durch welche ein „weißes“ Sendungsbewusstsein als nationale Philosophie ausgedrückt wurde; dieses Land war den EuroamerikanerInnen von Gott beschert worden, lag lediglich brach da, und wartete darauf, den indigenen Völkern weggenommen zu werden.

1830 wurde das Indianervertreibungsgesetz (Indian Removal Act) vom US-Kongress verabschiedet. Dazu hatten die USA westlich des Mississippi das Indianerterritorium (IT) geschaffen. Dies sollte “so lange das Gras wächst und die Wasser fließen” die Heimat der indigenen Völker östlich des Mississippi werden. In der Folge wurden bis 1890 über 70 verschiedene indianische Völker oder deren Überlebende aus allen Teilen der heutigen USA, außer Alaska und Hawaii, in das IT umgesiedelt. Jedes dieser Völker musste seinen “Weg der Tränen” gehen, um in das IT zu kommen.

Bild über den historischen „Trail of Tears“Die gewaltsame Umsiedelung wird deshalb „Weg der Tränen“ (Trail of Tears) genannt, da bei dieser ethnischen Säuberung etwa 25% der Cherokee umkamen (1838-39); viele mehr verstarben nach der Ankunft. Auch die bereits im IT ansässige indigene Urbevölkerung, die Caddo, Comanche, Kiowa, Osage und Wichita, wurden in Reservate gezwungen.

„Trail of Tears“ von Robert Lindneux

Die Verwaltung der von den USA eroberten indigenen Nationen wurde von der dazu neuerrichteten Indianerbehörde “Bureau of Indian Affairs“ (BIA) wahrgenommen, die zunächst dem Kriegsministerium untergeordnet war. Die BürgerInnen dieser indianischen Nationen waren nach ihren verzweifelten Freiheitskämpfen zu Kriegsgefangenen geworden, die nun einem massiven Assimilierungsprozess unterworfen wurden. Erst 1949 wurde das BIA dem Innenministerium unterstellt.

Nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg 1861-63 drängten die euroamerikanischen SiedlerInnen abermals gegen Westen. Nachdem in den Jahren bis zur Jahrhundertwende alle umliegenden Territorien US-Bundesstaaten geworden waren, verblieb das IT mit den vielen “befriedeten” indianischen Völkern und Nationen eine der letzten „Frontiers“ der USA. 1887 wurde der “Allotment Act” als Gesetz zur Privatisierung aller indianischen Länder verabschiedet, das gleichzeitig jede Form indianischer Selbstverwaltung auflöste. Jedem Bürger dieser indigenen Nationen im IT wurden 13 ha als Eigentum zugeteilt. Aus dem “überschüssigen” Indianerland wurde 1907 Oklahoma gegründet und als 46. Bundesstaat formell den USA eingegliedert.

In Oklahoma machte sich unter den Menschen der vielen Völker eine lethargische Verzweiflung breit, die in weiterer Folge den Beginn eines epidemischen Alkoholismus bedingte. Einigen dieser Völker gelang es – allerdings nur im Untergrund – eine Art Selbstverwaltung fortzuführen, um das Überleben der ureigenen Identität zu sichern. Mit unterschiedlichsten Strategien, wurde von Regierungsseite immer wieder versucht, indianische Nationen aufzubrechen und zu assimilieren.

Die großen Ölfunde der 1920er Jahre in Oklahoma brachten schließlich noch mehr AmerikanerInnen mit ihrem steigenden Energiebedarf und Landhunger nach Oklahoma. Mit allen Mitteln wurde versucht, sich weiteres Indianerland anzueignen, was zum sogenannten “checker-boarding” des indigenen Landes beitrug. Noch heute stellt dies eine wesentliche Barriere zur Konsolidierung der indianischen Landbasis dar. “Checker-boarding”, wörtlich übersetzt “Verschachbrettung”, war erst durch den Allotment Act möglich geworden. Durch Landübertragung in Privatbesitz und ohne den “Schutz” einer ausreichenden treuhändischen Verwaltung des BIA war es den AmerikanerInnen erleichert worden, Grund und Boden der großteils stark verarmten und unter massiven psychosozialen Problemen leidenden indianischen Bevölkerung aufzukaufen. Diese Situation wiederum war eine grundlegende Voraussetzung zur Schaffung des Bundesstaates Oklahoma.

Politischer und kultureller Aufbruch

Erst nach dem 2. Weltkrieg, während dem eine große Zahl indianischer SoldatInnen im US-Militär gedient hatte, ließ ein neues Erwachen im Indianerland Hoffnung aufkeimen. Im Zuge der bestehenden Assimilierungspolitik hatten alle IndianerInnen 1924 ungefragt die US-Staatsbürgerschaft mit dem Ziel erhalten, sie weiter in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren. Dabei wurde jeder Ausdruck kultureller und vor allem politischer Identität der indianischen Bevölkerungen entweder kriminalisiert oder war zumindest verpönt. Dies stand und steht im Gegensatz zu den Grundsätzen der US-Verfassung, die jedem/r US-BürgerIn Redefreiheit, Religionsfreiheit und “Ausübung des persönlichen Glücks” garantieren sollte.
Trotzdem begann sich in Oklahoma bei vielen indigenen Völkern ein merkbarer Aufbruch abzuzeichnen. Es sollte allerdings bis in die späten 1970er Jahre dauern, bis die letzten Gesetze der rigorosen US-Unterdrückungspolitik aufgehoben wurden. Langsam organisierte sich eine Vielzahl der indigenen Nationen in modernen Selbstverwaltungen, die gleichzeitig eigene wirtschaftliche Initiativen zu verfolgen begannen.

Die US-Indianerpolitik erfolgte und erfolgt in gegensätzlichen Wellen. Während indianischen Nationen seit dem 19. Jahrhundert mehrmals die vollständige Auflösung drohte, wurden sie eine Generation später – bedingt durch einen liberaleren Zeitgeist – zu einer limitierten Selbstverwaltung ermutigt. In den 1950er Jahren erfolgte wieder eine Wende zur “Termination” (Auflösung), was u.a. auch die Aussetzung aller 578 Verträge zwischen den USA und indianischen Nationen bedeutete. Diese Politik schwenkte um 1975 wieder in die Gegenrichtung, als Gesetze zur verstärkten Selbstverwaltung und Kontrolle der eigenen Bildungssysteme verabschiedet wurden. Erst aufgrund dieser letzten Wende konnten sich die von der US-Regierung in Oklahoma offiziell anerkannten 39 indianischen Nationen dauerhaft etablieren (s. Kasten unten). Manche allerdings verschwanden für immer.

Am Beginn des 21. Jahrhunderts zeichnet sich für viele dieser Völker eine neuerliche Erstarkung ab, die durch innovative wirtschaftliche, soziale und kulturelle Initiativen bedingt ist. Erst relativ spät im Vergleich zu anderen indigenen Nationen Nordamerikas konnten sich in Oklahoma etwa indianische Glückspielunternehmen etablieren. Mit deren Einnahmen wurde in andere Unternehmen investiert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die wirtschaftlichen Aktivitäten vor allem auf Landwirtschaft und Ölindustrie beschränkt. Auch Kapital aus diesen Branchen wurde nach und nach zur wirtschaftlichen Diversifizierung eingesetzt. So weist Oklahoma heute eine vielfältige Bandbreite indianischer Ökonomie auf, die gleichzeitig auch der nicht-indianischen Bevölkerung in dieser Region zu Gute kommt.

Die 39 von der US-Regierung in Oklahoma offiziell anerkannten indigenen Nationen
Absentee Shawnee Tribe, Alabama Quassarte Tribal Town, Apache Tribe, Caddo Tribe, Cherokee Nation, Cheyenne-Arapaho Nations, Chickasaw Nation, Choctaw Nation, Citizen Potawatomie Nation, Comanche Nation, Delaware Nation, Delaware Tribe of Indians, Eastern Shawnee Tribe, Ft. Sill Apache Tribe, Iowa Tribe, Kaw Nation, Kialegee Tribal Town, Kickapoo Tribe, Kiowa Tribe, Miami Nation, Modoc Tribe, Muscogee Nation, Osage Nation, Ottawa Tribe, Otoe-Missouria Tribe, Pawnee Nation, Peoria Tribe of Indians, Ponca Nation, Quapaw Tribe, Sac & Fox Nation, Seminole Nation, Seneca-Cayuga Tribe, Shawnee Tribe, Thlopthlocco Tribal Town, Tonkawa Tribe, United Keetoowah Band, Wichita & Affiliated Tribes, Wyandotte Nation, Yuchi Tribe of Indians.