von Renate Dominik
Ehe die Western Shoshone 1980 zum ersten mal eine Delegierte nach Europa sandten, um ihren Fall beim Russel-Tribunal vorzutragen, waren sie „ ein unbeschriebenes Blatt“ – die Indianer- und Wildwest-Literatur hatte von ihnen keine Notiz genommen und die Medien schon gar nicht.
Doch durch ihren wachsenden Widerstand gegen die US-Regierung wurden sie schließlich zu einer der am meisten beachteten indianischen Nationen in der Friedens-, Solidaritäts- und Menschenrechts -Bewegung.
Neben dem Kampf der Lakota um die Black Hills führen sie den am längsten währenden Kampf um Land- und Vertragsrechte in den USA.
1963 wurde ein grosser Teil der Halbwüsten Nevadas im Vertrag von Ruby Valley als Western Shoshone Territorium anerkannt. Doch der Vertrag wurde schon bald darauf von den USA ignoriert. Es begann mit der Vertreibung aus dem fruchtbaren Ruby Valley und setzte sich fort mit der Zwangsverwaltung des Territoriums durch amerikanische Behörden.
Vor allem das Bureau of Land Managment (BLM) profiliert sich durch Schikanen gegen diejenigen Western Shoshone, die sich in den Sagebrushwüsten eine Existenz als Rancher aufgebaut haben. Mit einem enormem Aufwand an Polizei, Sheriffs, Cowboys und Hubschraubern werden hunderte von Rindern und Pferden beschlagnahmt – oft fast der gesamte Viehbestand einer Reservation. Vor allem sind jedoch diejenigen Zielscheibe solcher Aktionen, die sich als Sprecher und Aktivisten für die Landrechte engagieren.
Das BLM war auch der Auslöser für eine Odysse durch das amerikanische Justizsystem bis hin zum Obersten Gerichtshof der USA und in die internationale Arena der Menschenrechtskommissionen von UNO und OAS (Organisation der Amerikanischen Staaten).
Die ökologische Zerstörung
Das Schicksal der Westerm Shoshone geht jedoch weit über die Landrechtsfrage hinaus. Während sie mit ihrer Lebensweise das Land kaum verändert hatten, machten die USA es zu einer typischen „Sacrified Area“.
Im Süden ihres Landes wurde das US-Atombomben-Testgebiet (Nevada Test Site) errichtet – als Folge hat Nevada die am schnellsten wachsende Krebsrate der USA. Da die Western Shoshone mehr als andere vom Land abhängig leben, sind sie entsprechend stärker von dem radioaktiven Niederschlag betroffen.
Ihr Widerstand gegen die Atomtests führte einige ihrer Delegierten um die halbe Welt – bis nach Kasachstan, die Marsahll Islands – überall wo sonst noch Atombomben getestet wurden – und nach Europa.
An der Grenze zum Atomtestgebiet liegt Yucca Mountain, ein Berg der den Western Shoshone und ihren Nachbarn, den Payute heilig ist. Hier entsteht das nukleare Endlager, wo Atommüll aus den gesamten USA gelagert werden soll. Sternförmig aus allen Richtungen soll das Land der Western Shoshone von Atomtransporten durchzogen werden.
In den 80er Jahren begann der industrielle Goldabbau, für den das Zyanid-Laugen-Verfahren entwickelt wurde. Zyanid ist eine hochgiftige Substanz, mit der selbst mikroskopische Goldpartikel aus dem Gestein gelaugt werden. Aus dem nördlichen Teil des Western Shoshone Territoriums kommen heute 75% der amerikanischen Goldproduktion. Der Goldabbau vergiftet nicht nur Land und Wasser. Da der Tagebau ungeheure Flächen an Land frisst, fallen ihm zahlreiche heilige Stätten zum Opfer. Zudem müssen ungeheure Mengen an Wasser abgepumpt werden, da die Gruben der Minen oft bis unterhalb des Grundwasserspiegels ausgebaggert werden – der Gfrundwasserspiegel sinkt rapide und als Folge trocknen Quellen, Bäche und Brunnen aus.
Unter der zunehmenden Wasserknappheit leiden nicht nur die Menschen, sondern auch zahlreiche wildlebende Tiere wie Antilopen, Berglöwen und Wildpferde, von denen jährlich immer mehr verdursten.
Der Goldabbau hat den Konzernen in den letzten Jahrzehnten Gewinne von mindestens 26 Milliarden Dollar gebracht. Doch während andere indianische Nationen wie etwa die Hopi oder Navaho für die Ausbeutung der Resourcen auf ihrem Land sog. Royalties erhalten, bekommen die Western Shoshone von diesen Milliarden keinen Cent.
Der Grund liegt in der totalen Ignoranz der USA gegenüber den Land- und Vertragsrechten der Western Shoshone, die sich aufgrund ihrer isolierten, zurückgezogenen Lebensweise kein Gehör verschaffen konnten. Eine politische Plattform für Proteste gab es nicht, denn die einzigen Städte in Nevada – Reno und Las Vegas – bestehen im wesentlichen aus Casinos.
Erst als die Proteste gegen die Atomtests in den 80er Jahren international wurden, kamen die Städter – Aktivisten aus den umliegenden Bundestaaten wie Californien und Arizona – einige sogar von der Ostküste – in das Land der Western Shoshone. Sie alle waren bereit, sich für den Vertrag von Ruby Valley einzusetzen – aber die Mühlen der amerikanischen Justiz hatten angefangen zu mahlen und die Rechte der Western Shoshone wurden zum Spielball der Interessen von Regierung und Konzernen.
Der kafkaesker Prozess
Mit einem Gesetz von 1946 hatten die USA Indianischen Nationen „Wiedergutmachung“ für gestohlenes Land versprochen. Doch es stellte sich heraus, dass die Geste nicht „im besten Interesse“ der Indianer war, wie es die Pflicht der USA in ihrer Rolle als „Trustee“ (Vormund) gewesen wäre. Das Gesetz schrieb nämlich vor, dass es als Wiedergutmachung keine Rückgabe von Land, sondern nur Geld gab. Als die Western Shoshone das erfuhren, wollten sie keine Wiedergutmachung.
Aber sie hatten die Rechnung ohne ihre Anwälte gemacht, die das BIA (Bureau of Indian Affairs) vorsorglich für sie unter Vertrag genommen hatte. Die sollten 10% der Entschädigungssumme erhalten – rund 3Mio Dollar hatten sie sich aufgrund des zur Diskussion stehenden Landes im Fall der Western Shoshone ausgerechnet. Folglich dachten sie gar nicht daran, aus dem Prozess auszusteigen.
Die Western Shoshone kündigten den Anwälten. Das BIA, das sich als der eigentliche „Vertragspartner“ sah, erkannte die Kündigung nicht an. Es war eine Falle aus der es kein Entkommen gab.
Im Dezember 1977 sprach die Indian Claims Commission, bei der das Verfahren stattgefunden hatte, ihr Urteil: die Western Shoshone sollten 26 Mio Dollar als Entschädigung für ihr Land erhalten. Danach sollte bei einem Treffen über die Aufteilung des Geldes beraten werden. Stattdessen stimmten jedoch 80% der Western Shoshone dafür, das Geld abzulehnen und weiter für die Anerkennung des Vertrags von Ruby Valley zu kämpfen.
Marry und Carry Dann
Im Jahr 1979 erhielten Mary und Carrie Dann, die sich stets vehement gegen die finanzielle Entschädigung ausgesprochen hatten und zu profilierten Sprecherinnen der Western Shoshone geworden waren, Besuch vom BLM. Die beiden Schwestern sollten für ihre Pferde und Rinder Weidegebühren zahlen, da ihnen das Weideland nicht mehr gehöre. Sie weigerten sich mit der Begründung, dass ihre Tiere auf Western Shoshone Land weideten, da sie ihr Land nicht verkauft hatten. Sie seien den USA also nichts schuldig und würden Gebühren, wenn überhaupt, an die Western Shoshone Nation zahlen, nicht an die USA.
Diese Weigerung sollte eine Welle von Prozessen auslösen, deren Akten heute einen Güterzug füllen würden. Die traditionelle Regierung, das Western Shoshone National Council, stellte sich hinter Mary und Carrie Dann. Dennoch, als die ursprünglich Beklagten blieben es die Danns, die die Hauptlast zu tragen hatten. Andrerseits jedoch galten die jeweiligen Urteile in Berufungen, Revisionen und Neuaufnahmen des Verfahrens immer für die Landrechte der gesamten Western Shoshone Nation. Mary und Carrie, die inzwischen mit zahlreichen Auszeichnungen, darunter dem Alternativen Nobelpreis geehrt wurden, waren es auch, die den Fall in die internationalen Foren trugen. Mithilfe des Indian Law Resource Center, einer Indianischen Rechtshilfeorganisation, präsentierten sie ihn bei den Menschenrechtskommissionen der OAS und der UNO.
Mehrere UN-Gremien kritisierten daraufhin die USA und Vertreter der OAS trafen sich im Laufe der Jahre mehrmals mit Anwälten des US-Justizministeriums. Sie wiesen den USA schwere Menschenrechtsverletzungen nach, wie die Vorenthaltung von Eigentumsrechten und die Verweigerung eines ordnungsgemässen Verfahrens (due Process). Mit anderen Worten, den USA wurde bescheinigt, dass sie die Western Shoshone in den Prozessen mit falschen Argumenten über den Tisch gezogen haben. Es war ein abgekartetes Spiel zwischen Justiz, Politik und Konzerninteressen.
Doch die USA scherten sich um internationale Gremien in den 80er und 90er Jahren so wenig wie heute. Mit den Landrechten der Western Shoshone stand zu viel auf dem Spiel – nicht zuletzt die Interessen der Goldkonzerne, von denen zumindest einer, die Barrick Corporation, enge finanzielle Beziehungen zu George Bush sr. hatte (ausführliche Recherchen hierzu finden sich in dem Buch von Greg Palast „The Best Democracy Money Can Buy“, Penguin 2003).
Geschäftsinteressen im US – Congress
Da alle Versuche, die Western Shoshone zur Annahme des Geldes zu bewegen, gescheitert waren, bemühten die Politiker Nevadas Ende der 90er Jahre erneut den Congress: Ein neues Gesetz für die zwangsweise Auszahlung der Entschädigung sollte endlich die indiansichen Landrechte löschen.
Sie fanden einige Shoshone, die schon lange nicht mehr glaubten, jemals Recht zu bekommen und bereit waren, das Geld anzunehmen. Um bei sogenannten Referenden genügend Stimmen zu erhalten, durften auch Nicht-Indianer und sonstige Interessierte mit abstimmen. Doch unter Clinton gab es noch einige tapfere Demokraten, die das Spiel aufdeckten und sich deutlich genug gegen das Gesetz aussprachen, um es zu Fall zu bringen.
Senator Reid hatte sich schon mal mit ausgedehnten Ländereien in Nevada eingedeckt – zu Spottpreisen, denn solange die Landtitel aufgrund der ungeklärten Landrechtsfrage als unsicher galten, hätte niemand die übliche Grundstückspreise gezahlt. Immerhin bestand das Risiko, dass ein Gericht die Gültigkeit des Vertrags von Ruby Valley doch noch bestätigen könnte. Die Situation war eine Steilvorlage für gigantische Landspekulationen.
Reid’s Gesetzesbündel sind radikale Privatisierungs-Modelle. Da auf „Privatland“ unter anderem die Umwelt- und Planungsverfahren für neue Goldminen weit weniger kostspielig sind, werden die Goldkonzerne nun für sein gehamstertes Land Höchstpreise bieten.
Denn kaum hatte die Mannschaft von George W. Bush die Regierung übernommen, wurde der Gesetzentwurf erneut eingebracht, mit der Begründung, inzwischen hätten sich auch einige Stammesregierungen für die Auszahlung des Geldes ausgesprochen. (Da die Western Shoshone sehr verstreut leben, wurden ihnen innerhalb ihres Territoriums mehrere Mini-Reservationen zugeteilt mit jeweils eigener Stammesregierung).
Verschwiegen wurde, dass Felix Ike, Stammes-Vorsitzender der Temoak, abgesetzt worden war, weil er gegen den erklärten Willen des Stammesrats mit Reid verhandelt hatte.
Mehrere Western Shoshone Delegationen reisten nach Washington, um Senat und Congress in mühseliger Lobby-Arbeit über alles zu informieren. Einige Abgeordnete wollten sie mit entsprechen Anfragen an das zuständige Ministerium unterstützen – sie erhielten keine Antwort. Dennoch legten einige eine detaillierte schriftliche Begründung gegen das Gesetz vor. Es half alles nichts.
Congress und Senat segneten das Gesetz H.R. 884 im Juni 2004 ab und am 7. Juli 2004 wurde es von Bush unterzeichnet.
Entgegen internationaler Prinzipien im Umgang mit Indigenen Völkern wird die Entschädigung, die dank Zinsen seit 1979 auf 145 Mio Dollar angewachsen ist, auf individueller Basis ausgezahlt. Dadurch haben die Stammesregierungen keine Möglichkeit, das Geld für gemeinsame Projekte, für notwendige Programme, oder gar für den Rückkauf von Land zu verwenden.
Während bei vielen indianischen Nationen Tradionelle und Stammesregierungen zutiefst gespalten sind – das blieb auch bei den Western Shoshone nicht aus – hat der Kampf um die Landrechte sie eher zusammengeschweisst. Sie wollen den Kampf nicht aufgeben und eine alte Forderung wieder aufnehmen: über eine Erweiterung ihrer viel zu geringen Landbasis auf politischer Ebene zu verhandeln. Doch solange die Politik in Washington von denen beherrscht wird, denen die Interessen der Konzerne über alles gehen, sind die Chancen gering.